Gesellige Feste

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Gesellige Feste

Die Einteilung ist übrigens noch ungewisser bei den jahreszeitlichen Volksfesten,
die in den Städten und Dörfern Spaniens überlebten bzw. wiederbelebt wurden.
Sicher, die meisten dieser lokalen Feste werden unter das Patronat eines Schutzheiligen
gestellt, dessen Bild in irgendeiner Kirche oder ermita in der Umgebung verehrt
wird. Aber die Veranstaltungen, die den ganzen Reiz ausmachen, beinhalten eine
facettenreiche Folklore, deren Bedeutung oft heidnischen Ursprungs ist. Manchmal
liegen die geschichtlichen Wurzeln auf der Hand, wie bei den zahlreichen Festen
der »Mauren« und Christen, die noch in den Gegenden gefeiert werden, wo bis
zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine bedeutende arabische Minderheit wohnte:
in Aragonien, in den Dörfern von Las Alpujarras im Süden Granadas und vor allem
an der Mittelmeerküste Valencias. Diese kostümierten Streitigkeiten, von denen
vielleicht die im April in Alcoy stattfindenden die beeindruckendsten sind,
lassen durch ihr Getöse die Erinnerung an jene Jahrhunderte fortdauern, in denen
sich während und nach der Reconquista die Anhänger des Kreuzes und die Söhne
des Propheten gegenüberstanden und zusammenlebten. Andere Festzyklen sind klar
von den Heiden übernommen worden. Das trifft beispielsweise auf die Winterfeste
zu, die sich in die Tradition des Karnevals einreihen, - wie es uns der große
Ethnologe Julio Caro Baroja bewiesen hat - wenn dieser auch die von der Kirche
geforderte Zeit der Buße, die Fastenzeit, einhalten mußte, die ihm ein Ende
setzt. Diese spanische Karnevalsfolklore bleibt durch kollektive Enthemmung
gekennzeichnet, begleitet von ritualisierter Gewalt, körperlicher oder verbaler
Art, Spott und der Umkehrung von Werten. Maskeraden, Verkleiden als wildes Tier,
etwa als Bär, rituelle Festessen, bis hin zur Wahl von kurzlebigen, lokalen
Pseudoherrschern wie in Ibi, bei Alicante, jene enfarinats mit den bemalten
Gesichtern, die das Rathaus besetzen und den Banken Geldstrafen auferlegen,
oder wie die beiden Frauen in Zamarramala, einem Vorort von Segovia, die zu
alcaldesas gewählt werden und die dann für einen Tag die Gemeinde regieren.
Es wird sooft wie möglich Rache genommen an der alltäglichen Welt, die lange
Zeit aus Entbehrungen und Unterdrükkung bestand. Die subversive Kraft des Karnevals
ist so stark, dass während des Franco-Regimes die meisten Feierlichkeiten verboten
wurden, ohne sie dabei jedoch zum Verschwinden zu bringen, denn mit der Demokratie
erlebte der Karneval einen Wiederaufschwung.

Die Frühlings- und Sommerfeste evozieren Bilder vom Lande, Bilder der Fruchtbarkeit,
vom Erwachen der Vegetation, über das gedeihende Vieh und den Überfluß der Ernte,
bis hin zur Euphorie zur Zeit der Weinlese. In den Städten fällt oft der Namenstag
des Schutzheiligen mit antiken Jahrmärkten zusammen, wodurch das Signal zu den
ferias gegeben wird, bei denen die alljährliche Apotheose der Stadt gefeiert
wird, wobei diese dann von einer enormen Besuchermenge belagert wird. Denn das
ist die Gelegenheit für jede Familie, die einigermaßen die Mittel dazu hat,
Verwandte und Freunde zu empfangen, die manchmal vom anderen Ende Spaniens anreisen.
Theater- und Konzertveranstaltungen wetteifern miteinander mit Hilfe verlockender
und prestigeträchtiger Plakate. Die Leute drängen sich auf der Festwiese, dem
real de la feria, im ohrenbetäubenden Lärm der Karrussels, glitzernden Lotterien,
Geschicklichkeits- und Kraftspielen. Rauch steigt aus den Ölwannen, in denen
gerade die churros fritiert werden, rohrförmige, zu Kringeln gebogene Krapfen,
um die sich alle reißen. Dort erreicht das Gewühl jeden Abend seinen Höhepunkt,
unter Gelächter, Stimmengewirr und dem Gezeter aus den Lautsprechern, bis tief
in die Nacht hinein.

Die feria macht es auch möglich, all das zur Schau zu stellen, was die Zuschauer
verblüffen könnnte: in ihrer pompösen Aufmachung wirken die hübschen Frauen
so begehrenswert wie nie, wie eine verbotene Frucht. Es kommt auch öfters vor,
dass die vom Schicksal Priviligierten sich selbst dem gemeinen Volk gegenüber
zur Schau stellen, wobei dieses Karussell nirgendwo so prächtig, natürlich und
absehbar ist wie in Sevilla. Das liegt daran, dass in der Hauptstadt am Guadalquivir
- reich an Weizen, Öl, Wein, feurigen Pferden und Kampfstieren - eine ganze
ländliche Gesellschaft, reich und prunkvoll, immer noch Hof hält, von den Granden
Spaniens bis zu den aufgestiegenen Bürgern. Jedes Jahr im Mai wird bei der feria
ihr letztes Wiedersehen gefeiert, bevor sie sich dann zu ihrem sommerlichen
Aufenthalt auf den cortijos zerstreuen. Dieses Treffen kann wirklich verblüffen.
Ein Hauch von Tausendundeiner Nacht liegt in der Luft, wenn plötzlich die casitas,
Stoffzelte mit Holzverkleidung, auf dem Rasen des Prado von San Sebastián wie
Pilze aus dem Boden schießen. Jedes von ihnen ist mit vertrauten Stücken aus
dem Familiendomizil möbliert und vereinigt den Kreis aus Verwandten, Abhängigen
und Vertrauten bei einem Glas manzanilla. Es geht darum, wer am besten zu gefallen
versteht, wobei nichts zur Verführung fehlt: weder die Anmut junger Mädchen,
noch der rauhe Flamencogesang, der mit den Akkorden der Gitarre wechselt, noch
die souveräne Leichtigkeit der Reiter und Reiterinnen, die einem Zentaurengeschlecht
zu entstammen scheinen.

Aber das Stadtfest ist auch jener Augenblick, da man dem kritischen Geist freien
Lauf lassen kann, besonders, seitdem er nicht mehr vom autoritären Regime gebremst
wird. So geschieht es manchmal bei den Nachbarschaftsfesten, durch die Initiative
der dynamischen asociaciones de vecinos ins Leben gerufen: in Madrid beispielsweise,
im Außenbezirk von La Elipa, entsteht jedes Jahr im September eine Reihe kurzlebiger,
bunter Skulpturen aus Papier, die mit scherzhaftem Elan Menschen und aktuelle
Ereignisse darstellen. In einer Großstadt wie Valencia aber beruft sich die
streitbare Fröhlichkeit auf eine lange Tradition. Mitte März findet nach wie
vor das Fest der Fallas statt, als ein närrisches Zwischenspiel mitten in der
Fastenzeit. Zu diesem Zweck nimmt jeder Stadtteil die alten Sitten des Zunftwesens
wieder auf und stellt fürs Publikum ein riesiges Werk aus Pappmaché aus, dessen
burleske Figuren auch der Aktualität von Politik, Sport und Kultur entstammen,
wobei satirische Ironie mit Fantasie in Wettstreit tritt. Diese Schöpfungen
für einen Tag werden, nachdem sie die Gaffer - und in unseren Tagen das Fernsehen
ausgiebig - zu Kommentaren verleitet haben, den Flammen des Freudenfeuers dargebracht,
das sie zur allgemeinen Belustigung verzehrt.

In den meisten Gegenden räumen die Feste der Geschicklichkeit und Kraft von
Tieren, Pferden und hauptsächlich Stieren, erheblichen Stellenwert ein. In mehreren
Orten lebt die Tradition fort, einen frei umherlaufenden Stier zu verfolgen,
wie den toro de la vega von Tordesillas und den corre de bou von Cardona, in
Katalonien. Aber das aufsehenerregendste Verfahren ist das der encierros, wobei
man die Stiere durch die Straßen laufen läßt, um sie dann in einem gnadenlosen
Jagd bis zu jener Stelle zu treiben, wo sie dann den Regeln entsprechend getötet
werden. Die encierros von Cuéllar und Peñafiel in Kastilien schäumen über vor
ländlicher Begeisterung. Aber die berühmtesten sind natürlich die von Sanferminès
in Pamplona, denen Hemingway in seinem Roman Fiesta Unsterblichkeit verliehen
hat. Jedes Jahr Anfang Juli stürmt eine internationale Menschenmasse die Hauptstadt
Navarras, begierig auf Lärm und leidenschaftliche Begeisterung, auf Gefahren
und Emotionen, auf Staub und Wein. Im entfesselten Gewühl sind oft Opfer zu
beklagen. Der Rausch fordert seinen Preis, der dann plötzlich die Vergänglichkeit
des Lebens ins Gedächtnis ruft. Abgesehen von diesen dionysischen Riten vergessen
die anderen bedeutenden ferias nicht, einer weiterentwikkelteren Art des Festes
mit Stieren Raum zu gewähren, nämlich der corrida.