Fiesta brava

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Fiesta brava

Die »fiesta brava« geht zugleich auf populäre und aristokratische Ursprünge
zurück. Das Spiel mit den Stieren diente, nachdem es zunächst Angelegenheit
athletischer und verwegener Bauern gewesen war, im Goldenen Zeitalter der Zerstreuung
Adliger. In der Barockzeit war ihr Held der Ritter - zuerst mit einer Rüstung
bekleidet, später mit Wams und Umhang - der mit dem losgelassenen Tier einen
Schnelligkeits- und Geschicklichkeitskampf führte, wobei der Reiter nur seinen
Fuß auf die Erde setzt, um seinem erschöpften Gegner den Todesstoß zu versetzen.
Diese Reiterkunst hat bis in unsere Zeit hinein überlebt in der Form des zu
Pferde kämpfenden rejoneador, der in ein strenges, graues Gewand gekleidet ist
und den andalusischen Hut trägt. Oftmals gehört er einer Züchterdynastie an
und stellt sich im ersten Teil mancher Stierkämpfe dar, sowohl aus Vergnügen
als auch, um daraus Nutzen zu ziehen. Erst im 18. Jahrhundert entsteht die corrida,
so wie wir sie kennen. Durch die Systematisierung des Ganzen bedingt, verläßt
diese neuartige Feier schnell die plaza mayor, wo bis dahin diese Spiele abliefen;
die plaza mayor von Chinchón, in der Nähe von Madrid, die noch als Schauplatz
dazu dient, läßt diese Zeit wieder aufleben, in der auf dem Platz, dessen Zugänge
durch Karren und Palisaden versperrt sind, sich die Zuschauer an den Fenstern
und auf den zu dieser Gelegenheit errichteten Bänken drängen. Als der aristokratische
Amateur dem professionellen Mann aus dem Volk, der von seiner Mannschaft - der
cuadrilla - umgeben ist, den Platz überließ, entstand die kreisförmige plaza
de toros. Die ältesten und gleichzeitig schönsten wurden in den beiden in der
neuen Stierkampfkunst konkurrierenden Hochburgen errichtet: die fantastische
Maestranza von Sevilla mit den wunderschönen Steinsäulen fängt bei den großen
corridas während der feria Feuer; und im Adlerhorst von Ronda findet auf der
plaza, wo Francesco Rosi seine brillante Version von Carmen drehte, jedes Jahr
die berühmte corrida goyesca statt, eine ernste Zelebrierung, bei der die noch
primitive Technik und die schmucken Kostüme wiederaufleben, so wie man sie von
den Radierungen über la Tauromaquia kennt ... Eine Pilgerfahrt zu den Quellen
für den wahren aficionado.

Am Ende der Aufklärung ordnen die Schulen von Sevilla und Ronda, berühmt geworden
durch die legendären Kämpfer Pedro Romero, Costillares und Pepe-Hillo, auf diese
Weise einen chaotischen Kampf zu einem strengen Ritual. In dieser ersten Epoche
des Stierkampfs wird mit dem Einsatz beim Duell nicht gemogelt, denn der Stier
ist damals noch ein aus dem Stierkäfig herausschießender Koloß, dessen Masse
selbst die Verwegensten fasziniert. Die erste Stufe des Kampfes, vom picador
geführt, hat noch nichts Förmliches an sich. Einige Spielereien mit der Capa
von Seiten des Toreros - wie beispielsweise »la verónica«, wobei die Capa dem
Stier senkrecht hingehalten wird, wie dem leidenden Christus das Schweißtuch
der Veronika gereicht wurde - bereiten den Auftritt des Pikadors vor. Ursprünglich
bietet er als Erster dem Angriff des wütenden Tiers die Stirn, weshalb ihm nicht
weniger Ruhm zukommt als dem Torero. Die Silhouette, die uns der französische
Zeichner Gustave Doré von ihm hinterlassen hat, zeigt ihn als einen der Helden
des Festes, dem eingegangenen Risiko gemäß: entsprechend zahlreich sind die
in der Arena ausgestreckten Pferdekadaver. Die beeindruckende Kraft der in den
ganaderías aufgezogenen, wahrhaftigen Bestien erforderte diese harte Bestrafung,
ganz einfach damit der Zweikampf möglich wurde. Heutzutage wurde die Statur
des Tiers durch Zucht verkleinert und läßt diese erste Etappe von daher überflüssig
erscheinen, so dass der Pikador zu einer armseligen Figur wurde, die mehr Anzüglichkeiten
als Beifall erntet. Seine Aufgabe bleibt jedoch notwendig und schwierig, denn
er muß den Stier dazu führen, sich richtig zu verhalten, mit Hilfe der chulos,
die seinen Angriff durch Bewegungen der Capa vom Pikador ablenken, wobei es
ihnen freisteht, dem Stier mit wenig glorreichen Sätzen über die Barriere zu
entkommen. Dann gilt es, ihm einen sicher angesetzten Stoß mit der Lanze zu
versetzen, aber ohne unnötige Grausamkeit. Eine oftmals von der Öffentlichkeit
unverstandene Kunst.

Der zweite Akt ist gekennzeichnet durch den Auftritt des Banderillos. Gemessenen
Schrittes, wobei die Banderillas wie die Fühler eines Insekts auf der Lauer
beben, nähert er sich dem Tier, das auf der Hut ist, und macht es neugierig
und unruhig, so dass es ihm mit scheelem Blick von der Seite her zusieht, wie
er Anlauf nimmt. Sein schneller Lauf verursacht die Attacke des Stiers. Die
ganze Kunst des Banderillos besteht darin, die Angriffsrichtung des Stieres
umzulenken, damit er genügend Zeit findet, um mit einem Riesensatz seine Wurfspieße
in den Nacken des Tieres zu stoßen, das seinen Lauf ändert. Zwei, drei Mal wiederholt
sich die Herausforderung, bis zum Moment, wo sich das Tier entfernt, um wieder
zu Atem zu kommen.

Zum dritten Akt tritt dann der matador auf, der bis dato nur Dirigent seiner
cuadrilla gewesen war. Es kommt manchmal vor, dass er, nicht ohne einen Schuß
Koketterie, selbst die Banderillas setzt. Aber nun ist der Augenblick gekommen,
der nur ihm alleine gehört, und in dem er sich »mit dem Stier einschließt«,
Auge in Auge. Die weite, zweifarbige Capa macht der purpurroten, das Schwert
versteckenden Muleta Platz, die den Stier zum strengen und dennoch unvorhersehbaren
Ballett, la faena, aufruft, einer Verkettung von Passagen, mit denen die souveräne
Herrschaft des Menschen gefeiert wird. Die Fantasie der Toreros hat sich darin
gefallen, sie auszuschmücken. Aber die höherentwikkelten faenas lassen sich
alle auf klassische Passagen zurückführen, wie »el natural«, bei der mit einer
weiten Geste über den Boden gefegt wird. Dieser dritte Akt wurde im Laufe des
20. Jahrhunderts umgewandelt, bis er wie heute den wesentlichen Teil des Stierkampfes
ausmachte. Der Torero zwingt das Tier, ihn immer häufiger zu streifen, innerhalb
des durch seinen alleinigen Willen abgesteckten Raums. Bei Belmonte war die
Situation noch sehr angespannt, denn dieser gelangte nur zum Höhepunkt seiner
Kunst am Ende einer langen Askese, die durchsetzt war von Verletzungen und Mißerfolgen.
Der Typus des neuen Toreros gipfelt im legendären Manolete, der, wie ein Beobachter
treffend beschrieb, »unbeweglich, kerzengrade wie eine Zypresse, manchmal den
Blick gen Himmel erhebend, wie von einer mystischen Extase getroffen in der
Arena stand«. Sein Schicksal, in den Arenen von Linares durch den Tod besiegelt,
erhält dadurch den notwendigen pathetischen Hauch, ohne den keine Tragödie möglich
ist.

Sich die Müdigkeit des Tieres, verursacht durch die Beanspruchung der faena,
zunutze machend, lauert der Mensch auf den Moment, in dem er dem erschöpften
Stier, welcher unbeweglich mit gesenktem Kopf dasteht, das Schwert mit einem
Schlag, der absolut sitzen muß, in den Nacken bohrt. Das ist der Moment der
höchsten Erregung, die Stunde der Wahrheit. In diesem Zweikampf mit dem an Kraft
überlegenen Tier setzt sich der Mensch als gleichwertig durch: »In der Arena,
dem Stier gegenüber, heißt es für den Torero zu töten oder zu sterben«, sagte
Pedro Romero, einer der Väter des Stierkampfs, mit der ruhigen Offenherzigkeit
des Helden.

Seit Mitte des Jahrhunderts indes tendieren die Züchter dazu, weniger kräftige
Rinder mit weniger furchterregenden Hörnern auszuwählen, die dadurch oftmals
ängstlicher sind. Ihr Entgegenkommen und vor allem das der Besitzer der plazas
ist sogar bis zu unzumutbaren Methoden ausgeufert, wie dem afeitado, bei dem
die Stierhörner gestutzt werden und der dem Tier auf diese Weise ein wahrhaftes
Trauma zufügt, so dass es nur noch ein Schatten seiner selbst ist ... Unter diesen
Bedingungen ist es natürlich leichter möglich, sich auszuzeichnen und einen
aufsehenerregenden Einstand zu erzielen in der Hitparade eines Stierkampfwesens,
das zu einem Geschäft wie alle anderen wurde. Denn der Torero wird zu einem
Star, der seinem Beruf Ruhm, Reichtum und Vergnügungen verdankt. Ob Kinder aus
dem Volke, Rinderhirten, die von Kindesbeinen an mit dem mutigen Stier vertraut
sind oder Zigeuner aus dem bevölkerungsreichen Stadtteil Sevillas, Triana, jenseits
des Guadalquivir - so viele von denen, die nur Elend erlebt haben, tragen in
sich diesen vergoldeten Traum, genährt von einigen spektakulären Erfolgen, die
unzählige Mißerfolge vergessen machen. Eine von diesen bemitleidenswerten Odysseen
hat Francesco Rosi mit viel Genauigkeit in der Augenblick der Wahrheit verfilmt,
gespielt von dem Torero Miguelín, und zwar ohne Double während der Kampfszenen.
In jeder Saison gibt es also junge maletillas, die wahnwitzig in die Arena springen
und dabei gerade genug Zeit haben, um einige ungeschickte Passagen auszuführen,
bevor sie wieder aus ihr hinausgeworfen werden ... oder um sich dort aufspießen
zu lassen, um dann bei Gelegenheit doch wieder rückfällig zu werden. Aufsehenerregende
Aufstiege vom Hungertuch zum Ruhm ließen aus dem Mythos eine Realität werden.
Jener von El Cordobés, der sich inzwischen zurückgezogen hat, war der strahlendste.
Sohn eines andalusischen Tagelöhners und abseits der Schule aufgewachsenes Straßenkind,
das auch mit dem Gefängnis Bekanntschaft geschlossen hatte, träumte Manuel Benítez
trotzdem beharrlich davon, die Maurerkelle mit dem Schwert des diestro einzutauschen.
Es gelang ihm an einem Tag im Jahre 1964, als er das auf große Emotionen versessene
Publikum durch seine unerschrockene Gestalt, sein strahlendes Lächeln und seine
kühnen Posen beeindruckte, wie seinen allseits bekannten »Froschsprung« direkt
vor dem Maul des Stiers. Obwohl von den Puristen abgelehnt, machte ihn diese
Mischung aus Schauspielerei und Verwegenheit zum Idol der Massen, später dann
zum Idol des Erfolges, als er sich dazu entschloß, sich seinen Aufgaben als
Züchter und Geschäftsmann zu widmen. Vor nicht allzu langer Zeit bestätigte
Paco Ojeda, obwohl Analphabet, indem er souverän strenge Verhaltensregeln durchsetzte,
dass Ruhm auch dem Kühnen winken kann, der seine Anmut nicht verloren hat ...
bis dann die fiesta brava eines Tages ihrerseits Opfer der Sponsoren werden
sollte: ließ die japanische Firma Sony ihren Namen nicht bereits 1987 auf ein
Stierkämpfergewand sticken?

Zweifellos erstreckt sich der »Planet der Stiere« nicht über ganz Spanien.
In den nördlichen Regionen ist der Stierkampf ein importiertes Schauspiel, das
auf gedämpfte Zurückhaltung stößt. Im allgemeinen kollidiert die eingewurzelte
Leidenschaft der aficionados, die in den peñas taurinas, den Stierkampfklubs,
gepflegt wird, mit einer ebenso heftigen »Stierkampfphobie«, die das grausame
Spiel ablehnt. Wenn man manchen progressiven Intellektuellen und manchen überzeugten
Umweltschützer reden hört, dann soll der Stierkampf Verschwendung und Grausamkeit
nur allzu sehr gefördert haben, zum dauerhaften Schaden Spaniens. Dem Echo dieser
Kritiken gelingt es ohne jeden Zweifel nicht, den Lärm zu übertönen, der sich
jeden Sommer in den plazas de toros erhebt und den das Fernsehen bis in die
Kneipen der abgelegensten Dörfer überträgt. Das spanische »Nationalfest« erlebt
noch schöne Tage, denn wenn sich nicht das ganze Land mit ihm identifiziert,
so ist das Stierkampfritual doch allein in Spanien entstanden und lebt nur dort
weiter.