Ribera 1
Kultureller Streifzug durch Barcelona
Das Ribera-Viertel
Gemeint ist der Stadtteil rechts der Vía Laietana, wenn man mit dem Rücken zum Hafen steht. Er wird im Norden begrenzt vom Mercat Santa Catalina, im Osten von der Plaçà Comercial. Die boulevardgleiche Vía Laietana trennt das volkstümliche alte Viertel vom Barrio Gótico, weshalb es glücklicherweise vom Massentourismus verschont blieb. Der Reiz dieser Gegend besteht in dem Labyrinth mittelalterlicher Gäßchen, in den alten Häuschen, die schon Patina angesetzt haben, in den romantischen, überwölbten Durchgängen, durch die schon Tausende vor uns gewandert sind, in den vielen Winkeln und Biegungen der Sträßchen. Ribera ist ein Synonym für das Barcelona der kleinen Kaufleute und Handwerker, deren urige Läden und Werkstätten wir passieren. Abends taucht der Schein der Straßenlaternen das Viertel in bizarre Töne, ja, verleiht ihm sogar einen Hauch von Expressionismus. Die Bevölkerung erweckt einen freundlichen und sympathischen Eindruck; sie ziert sich nicht, Handgreiflichkeiten oder Ehekräche auf der Straße auszutragen. Aus dem prallen Leben gegriffen ... ganz wie bei uns. In Ribera findet man alles, was das Herz begehrt: kleine gemütliche Lokale mit einem Hauch von Nostalgie, Szenetreffs, Avantgarde-Discos, Kunstgalerien, erstklassige Museen u.v.m.
Es waren die Bewohner dieses Viertels, welche Philippe V. von Bourbon, von Karl II. testamentarisch zum Nachfolger in Spanien bestimmt, am längsten Widerstand geleistet haben. Außerdem erblickte hier Agustina d´Arago das Licht der Welt: sie stellte sich als erste den napoleonischen Truppen entgegen.
Picasso-Museum: Carrer Montcada 15. T. 315 47 61. Geöffnet 10-20h, Einlaß bis 19.30h, sonntags bis 14.30h. Montags kein Publikumsverkehr. Studenten, die sich als solche ausweisen können, zahlen ebensowenig Eintritt wie Minderjährige.
Das Museum ist einem gewissen Pablo Ruiz Picasso gewidmet, genauer gesagt seinen Erstlingswerken und den beiden Lebensabschnitten, die er in Barcelona verbracht hat: von 1895-1897 und von 1901-1904. Den gebührenden Rahmen bildet ein gediegener Stadtpalast.
Picasso hat einmal gesagt: »Kunst ist eine Lüge, mit deren Hilfe wir uns der Wahrheit nähern können.« Wahr ist auf jeden Fall, dass er am 25. Oktober 1881 auf die Welt kam und dass ihm schon bei seiner Geburt ein außergewöhnliches Schicksal beschieden war: man hielt ihn nämlich für eine Totgeburt. Die Hebamme rüstete sich schon zum Gehen, während der Onkel die Hoffnung nicht aufgab und dem Säugling eine kräftige Rauchwolke seiner scheußlich stinkenden Zigarre in die Nase blies. Daraufhin mußte der arme Knirps schrecklich husten und begann zu weinen. Picassos Vater, selbst Maler und Zeichenlehrer, brachte selbstverständlich seinem Sprößling das Zeichnen bei. Während eines Aufenthaltes der Familie in Galicien, kurz, bevor es nach Barcelona ging, mußte der Vater feststellen, dass der Junior bereits besser malte als er. Er bot ihm daraufhin seine Staffelei, seine Farben, seine Pinsel und seine Palette an, um selbst nie wieder einen Pinselstrich zu tun. Schon mit vierzehn Jahren fühlte sich das frühreife Genie Picasso heimisch in den Schönen Künsten. Zwei Jahre später entstand sein erstes Meisterwerk: »Wissenschaft und Mildtätigkeit«.
Die Bilder werden alle hervorragend zur Geltung gebracht. Zu sehen sind u.a. die »Corrida«, eine Zeichnung, die er im Alter von neun Jahren angefertigt hat, Entwürfe, Skizzen, Rötel- und Tuschezeichnungen, Reiseaufzeichnungen. Gleichgültig, welches Werk man auch betrachtet, das sagenhafte Können Picassos springt überall ins Auge. »Die Erstkommunion« überrascht durch ihren Klassizismus, der sich hart an der Grenze zum Pompösen bewegt; »Wissenschaft und Mildtätigkeit« beeindruckt dagegen durch einen großartigen Realismus. Des weiteren zeigt das Museum von Picasso illustrierte Speisekarten, Schöpfungen aus der »Blauen Periode«, das berühmte Bildnis des als spanischer Adliger verkleideten »Jaime Sabartes«, Radierungen und eindrucksvolle Paraphrasen der »Meninas« von Velasquez. Schließlich seien noch die zahlreichen Keramikarbeiten erwähnt.
Eine Anekdote zum Abschluß: die berühmten »Desmoiselles d´Avignon«, heute in New York zu bewundern, sind keineswegs Töchter der südfranzösischen Stadt, wie alle Welt glaubt; in Wahrheit sind sie Picassos lebenssprühende Reverenz an Barcelonas Freudenmädchen, die er mit der ihm eigenen Schaffenskraft und Fruchtbarkeit frequentierte. Sie arbeiteten damals in der Carrer d´Avinyo, einer alten Straße des Barrio Gótico.