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Geschichte

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Docklands: Das Empire kehrt zurück

Hafenspaziergänge

Vergangenheit und Gegenwart

Die moderne Docklands-Baustelle wiederholt den viktorianischen Traum, der sich in der Errichtung der wharfs (Lagerhäuser, eigtl. Werft) verwirklicht hatte. Ein Prospekt von 1802 wäre die beste Werbung für neue Bauherren:

Wer Gelegenheit hat, die West India Docks zu besichtigen, ist überwältigt von ihrer Größe, der darin investierten Intelligenz, dem Sachverstand und der Mühe für dieses majestätische Werk, das von vergangenem Ruhm zeugt und künftigen Wohlstand verheißt.
Reichtum. Seit das Empire den Welthandel dominierte, war Londons Hafen der größte Warenumschlagplatz auf Erden. Das ging bis Ende des 18. Jhs. gut, dann stießen die 20 Kais östl. des Towers an ihre Grenzen. Flugs eröffneten 1802-06 die Ergänzungen: St Katharine´s Dock (nahe London Bridge) für Wolle, Kautschuk & Zucker, London Dock (Wapping) für Kaffee & Kakao, West India Dock (Isle of Dogs) für Rum & Laubholz, East India Dock (Poplar) für Gewürze & Elfenbein. Als unter Königin Viktoria der Handel neue Rekorde einfuhr, reichte auch diese Frachtkapazität nicht. Also folgten 1855 das Victoria Dock und 1868 Millwall auf der Isle of Dogs, womit die Spezialisierung der Umschlagplätze voranschreiten konnte. An einem Eck wurde Rum gelöscht, am anderen Baumwolle. Als 1880-1921 drei Erweiterungen (Royal Albert, Tilbury, King George V) hinzu kamen, schien der Hafen von London für alle Eventualitäten gerüstet.

Tristesse. Er war es nicht. Weite Teile legte der blitz 1940/41 in Schutt und Asche, die Technologieschübe nach dem Weltkrieg erwischten die wieder aufgebauten Docklands unvorbereitet. Während ihr bester Kunde, The British Empire, in Selbstauflösung verfiel, setzte sich weltweit eine neue Generation von Handelsschiffen durch. Ihre Container erforderten neue Ladetechniken und tiefere Hafenbecken, was nur themseabwärts möglich war. So machte seit 1967 (50.000 Arbeiter) ein Dock nach dem anderen dicht, bis 1980 nur 3000 Jobs übrig waren. Auf der Isle of Dogs entstand eine Industriebrache, die 12% der Stadtfläche einnahm. Das blieb den Immobiliengeiern nicht lange verborgen. Angefeuert von Thatcher, die froh war, wieder nichts für die lower classes tun zu müssen, bildete sich 1981 die London Docklands Development Corporation (LDDC). Bald folgten Docklands Light Railway, Billingsgate Market, City Airport und gar eine U-Bahnlinie.

Spielwiese. Doch im wesentlichen ging es der LDDC darum, die Spielwiese für junge Krawattenträger der City zu erweitern. Reihenhäuser wie aus Legoland blickten auf Jachtbecken, die per „Vaporetto“ verbunden waren. Bürotürme verdrängten alte Wohneinheiten, weil die Geier damit verantwortungsfrei ans schnelle Geld kamen. Einkaufszentren wie das Tobacco Dock in Wapping, mit Trendkneipen und Designerboutiquen, sollten den Goldesel zur Darmentleerung in perpetuum anfeuern. 1989 sahen Thatchers Hofnarren England an der Schwelle zu einer neuen triumphalen Ära:
Als Brunel die Docks nach 1800 anlegte, galt es, einen Teil des wachsenden Weltmarktes zwischen Ost und West zu erobern. Britannien siedelte auf seinen Docks Geschäfte an, dank derer es zur mächtigsten Nation der Welt aufstieg. Davon unterscheidet sich der Leitgedanke für die neuen Docklands nur geringfügig. Sie sollen die Isle of Dogs zum Mittelpunkt eines neuen Imperiums machen: des Kapitals.

Es tat also not, eine Industrielandschaft zu beseitigen, die in ihrer Düsternis zum Symbol von Britanniens Zerfall geworden war. Die Docks waren das Ergebnis der Kollision zweier Kasten: den umtriebigen Finanzleuten der City und den Hafenarbeitern, deren Familien die Traditionen des East End pflegten. Dieser Gegensatz hat sich noch verschärft, zwischen Wohnklötzen (council houses) der Ärmsten glitzert die Postmoderne mit so horrenden Mieten, dass sich nicht mal jeder Yuppie dort eine Wohnung leisten kann. Prompt urteilte die Korrespondentin der Zeit: „London heißt es, Dallas ist es.“ Der Observer ging noch einen Schritt weiter. Die Isle of Dogs werde zum „größten architektonischen Desaster, das London jemals bedroht hat“. Dabei ist diese Stadt in dieser Beziehung ja einiges gewohnt.

Grünfrei. Wie üblich hatte der Brachial-Kapitalismus die Möglichkeit einer Rezession verdrängt. Wie üblich kam sie unaufgefordert. Ab 1991 gerieten viele Bauvorhaben auf Eis, erneut landeten Arbeiter auf der Straße, fertig gestellte Büros blieben ebenso tausendfach leer wie Luxus-Flats, Boutiquen hingen nur noch ein Schild ins Schaufenster: For Sale. Und da London wieder auf Stadtplaner verzichtet hatte, merkten nun die Menschen, dass kaum soziale Einrichtungen oder Grünflächen für sie vorgesehen waren. Zu allem Überfluss verwüstete 1996 eine Bombe der IRA das Areal um das neue Flaggschiff der Isle of Dogs, die Canary Wharf.

Die erneute Kehrtwende kam erst unter der Regierung Blair, die „der Wirtschaft“ neuen Optimismus einhauchte und die LDDC im März 1998 auflöste.

Docklands heute. Nun stellt sich das Viertel dem Besucher als Fanal der Moderne dar: selten schön, aber stets sehenswert. Stararchitekten sorgen buchstäblich für Auf-Sehen, futuristische Brücken führen über alte Hafenbecken, die Docks sind sogar zum Anziehungspunkt für Segler und Surfer geworden. Wer nach einem Entwurf für die Stadt der Zukunft sucht: Hier ist er, mit seinen Licht- und Schattenseiten.