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Barrio Gótico

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Kultureller Streifzug durch Barcelona

Das gotische Stadtviertel (Barrio Gótico)

... läßt sich bequem zu Fuß erforschen. Neben der Kathedrale und mittelalterlichen Bauwerken von architektonischem Rang sind sogar Überreste aus der Zeit der römischen Herrschaft aufzuspüren, die vollständig in die Fassaden der ockerfarbenen Paläste und Herrenhäuser integriert sind. Das gotische Stadtviertel, das durch die Avenida de la Catedral, die Plaçà Berenguer el Gran, die Plaçà de Sant Just und die Carrer de Sant Honorat begrenzt wird, profitiert von seiner architektonischen Einheitlichkeit.

Die Kathedrale

Zutritt: 7.30-13.30h und 16-19.30h. Der Dom wurde im 13. Jh. auf den Überresten einer westgotischen Kirche errichtet. Um ganz genau zu sein, handelt es sich bereits um das dritte an dieser Stelle hochgezogene Gotteshaus. Vor nicht allzu langer Zeit brachten Ausgrabungen zu Tage, dass hier bereits eine Basilika existiert haben muß, vermutlich in frühchristlicher Zeit. Die arabischen Eindringlinge ließen jedoch keinen Stein auf dem anderen. Erst im 11. Jh. erwachte die Kathedrale zu neuem Leben, bevor sie im 13. Jh. in den Rang einer Basilika erhoben wurde. Die Bauarbeiten nahmen damals hundertfünfzig Jahre in Anspruch. Beide achteckigen Türme stammen aus dem 14. Jh., einem Zeitpunkt, zu dem die Fassade erst auf dem Papier stand. Darin liegt auch der Grund, warum im 19. Jh. ein reicher Industrieller und Bürger der Stadt den Vorschlag unterbreitete, die Fassade nach alten gotischen Entwürfen umzugestalten. Den letzten Schliff erhielt die Kathedrale dann 1913 mit Laterne - so nennt man den türmchenartigen, Licht einlassenden Abschluß über der Gewölbeöffnung - und Turmspitze. Nachts erstrahlt die Fassade in ihrer ganzen Pracht. Übrigens: Shortsträgern ist der Eintritt verwehrt!

Das Innere, gegliedert in drei gewölbte Kirchenschiffe von schlichter Eleganz, eine Apsis und ein unechtes Querschiff, ist ein Paradebeispiel für katalanische Gotik. Auf die Mauerstreben des Transepts stützen sich auch die erwähnten achteckigen Türme. Die mächtigen Pfeiler, vorspringenden Bögen und Strebebögen machen in ihrer augenscheinlichen Schlichtheit schon etwas her. Alles an diesem kühnen architektonischen Wurf ist von einer unvergleichlich reinen Linienführung. In den zahlreichen Seitenkapellen des Chorumgangs, jede für sich ein architektonisches Schmuckkästchen, befinden sich einige Retabeln aus dem 15. Jh., schöne Beispiele katalanischer Kunst. Bemerkenswert auch, um nur einige Beispiele zu nennen, das Chorgestühl, die Kanzel, das Taufbecken, der Lepanto-Christus und die Mittellaterne. Schauen wir nun etwas genauer hin:

Der Chor bildet den Mittelpunkt des Bauwerks und zählt zu den Meisterwerken im Kathedraleninneren. Ausgeführt wurde er ab dem späten 14.Jh. auf Geheiß des Bischofs Ramón de Escales. Weißer Marmor diente für die seitliche Trennwand des Chors als Baumaterial, während der Chor selbst aus fein zieliertem Holz gearbeitet ist, dessen Formenschatz die Aufnahmefähigkeit des Betrachters zu übersteigen droht. Wir verdanken die einundsechzig Chorstühle und die Kanzel den holzschnitzerischen Fähigkeiten eines Ordensmanns namens Ca Anglada. Oh Gott, was für eine Sisyphusarbeit! Für die Rücklehnen der Sitze zeichnet übrigens ein deutscher Meister verantwortlich, der sich bei den reich verzierten Wappen offensichtlich besonders ins Zeug gelegt hat. Es handelt sich dabei um die Insignien der Ritter des Goldenen Vlieses, die hier unter Vorsitz Kaiser Karls V. und in Anwesenheit der Könige von Frankreich, Portugal, Ungarn usw. zusammenkamen. Alles hochfeine Herrschaften, versteht sich. Der rückwärtige Teil des Chors erscheint uns etwas schwerfällig. Zu Gesicht bekommen wir hier insbesondere den Kampf der heiligen Eulalia - der Schutzheiligen Barcelonas - für den christlichen Glauben sowie eine Darstellung des Sant Severe aus dem beginnenden 16. Jh.
Die Krypta folgt noch vor dem Chor, unter dem Mittelschiff. Hier genießt die heilige Eulalia seit 1939 ihre wohlverdiente Grabesruhe. Sie - die Krypta! - geht auf einen Entwurf Jaime Fabrés zurück, dem hier ein Meisterwerk an architektonischer Ausgewogenheit geglückt ist. Allein der bogenförmige Eingang hat unsere Bewunderung verdient. Entdeckt man erst das fast flache Gewölbe über dem Grab der Heiligen, verschlägt es einem erst einmal die Sprache. Als ob das Gewölbe unter dem Gewicht der Gesamtkonstruktion plattgedrückt worden wäre! Dabei helfen zwölf grazile Gewölbebögen beim Abstützen. Der mächtige Schlußstein des Zentralgewölbes stellt uns Eulalia und die Heilige Jungfrau vor. Wir sagen nur: entzückend! Darunter ruht der Alabastersarkophag aus dem frühen 14. Jh. mit den sterblichen Überresten der Heiligen. Kostbare Hochreliefs zieren die Seitenwände der auf acht Säulen errichteten Grablege. Im Hintergrund der Krypta: eine primitive, ins Mauerwerk eingelassene Skulptur der Heiligen Dame.
Um die Mittellaterne gebührend bewundern zu können, zurück zum Eingang der Kathedrale und nach oben geschaut - was heißt hier, wir erziehen unsere Leser zur Unselbständigkeit? Dieses durchbrochene Kuppeltürmchen bekrönt das Joch des Mittelschiffs, ja scheint mit unglaublicher Leichtigkeit darüber zu schweben. Die achteckige Form verleiht ihm darüberhinaus eine besondere Ausstrahlung. Ihre Spitze konnte erst 1913 fertiggestellt werden, begonnen wurden die Arbeiten aber schon 1422.
Wer sich nach Betreten der Kathedrale links hält, stößt in der ersten Seitenkapelle auf ein kostbares Taufbecken aus Carrara-Marmor, ein Werk aus dem 15. Jh.: gewendelte Kanten und Grate lassen erahnen, mit welchem Geschick hier der Meißel geführt wurde. Die folgende Kapelle beherbergt eine Christusfigur, die Admiral Don Juan d´Austria bei der berühmten Seeschlacht von Lepanto als Gallionsfigur diente. Jedenfalls laut mündlicher Überlieferung aus dem 16. Jh. Damals brachte die christliche Flotte den Muselmanen eine herbe Schlappe im Golf von Lepanto bei, wodurch deren Unbesiegbarkeitsimage nachhaltig ins Wanken geriet. In der Folge dann eine ganze Reihe von Retabeln und Barockaltären aus dem 17. Jh., unterschiedlichen Heiligen geweiht. In der siebten Kapelle ein hübsches Gemälde aus dem ausgehenden 15. Jh.
Das Sant Iu-Portal: herrliches Zusammenspiel von Marmor und Stein mit deutlich romanischem Einfluß. Logischerweise nur von draußen zu bewundern.
Hinter der Apsis verdienen weitere Kapellen unsere Aufmerksamkeit: ganz dem Barock verpflichtet, beherbergen sie zum überwiegenden Teil Retabeln aus dem 15. und 16. Jh., unter anderem die »Heimsuchung Mariä« in der Sankt-Michaels-Kapelle.
Die Capilla del Santisismo Cristo, rechts vom Hauptportal, beherbergt ein Tabernakel aus vergoldeter Bronze und einen mehrere Stile vereinigenden Altar.
Keine Kathedrale ohne Kirchenschatz: der hiesige umfaßt Reliquienschreine, die Mitra des heiligen Ollegarius - kennen wir auch nicht - eine kostbare, mit Gold und Silber überzogene Monstranz aus dem 14. Jh., die Pietá des Domherrn Desplá, den Thron Martins I. aus vergoldetem Silber und was der hübschen religiösen Kultgegenstände mehr sind. Besucher werden nur eingelassen, wenn sie sich vorher um eine Erlaubnis bemüht haben.
Kreuzgang und Museum: im Querschiff rechts führt die Puerta de San Severo zum Kreuzgang, der seine romanisch-lombardische Herkunft nicht verbergen kann. Er verströmt ein Gefühl tiefempfundener Ruhe, wohl dank seiner architektonischen Vollendung. Abgeschlossen wurden die Arbeiten am Kreuzgang in der Mitte des 15. Jhs. Zwei außergewöhnliche Eingangsportale sind besonders hervorzuheben: das Pietà-Tor - gleich links nach dem Ausgang aus der Kathedrale - dem polychrome Holzschnitzereien eine ganz eigene Note verleihen; und das Santa-Eulalia-Tor im reinsten gotischen »Flammenstil«, das die Verbindung zur Carrer del Bisbe herstellt. Rund um den eigentlichen Kreuzgang mehrere Kapellen hinter einladenden Arkaden, wo es manch sehenswerten Altar zu entdecken gilt. Die ganze Anlage umschließt übrigens ein verwunschenes Gärtchen mit Palmen und Magnolien. Hier findet alljährlich während der Fronleichnamswoche ein Spektakel besonderer Art statt: oben auf dem Wasserstrahl des gotischen Springbrunnens, der zu dieser Gelegenheit mit Kirschen und Ginster geschmückt wird, bewegt sich dann eine tanzende Eierschale, das »Ou com balla«, im vollkommenen Gleichgewicht. So etwas kennen wir doch von Schießbuden, nur dass es sich dabei um Ping-Pong-Bälle handelt.

Am Ende des Kreuzgangs erwartet Architekturfreunde noch ein kleiner Leckerbissen: die Santa Lucia-Kapelle, einziger noch erhaltener romanischer Kathedralenteil aus dem 13. Jh. Von der Straße aus kommt das prächtige Portal richtig zur Geltung. Im Inneren eine gemeißelte Grabstätte auf überdachtem Thron.
Im ehemaligen Kapitelsaal nebenan ist jetzt ein Museum für christliche Kunst untergebracht. Die Sammlung kann 11-13h besichtigt werden und umfaßt u.a. schöne Tafelbilder, darunter die Pietá von Bartolomé Bermejo vom ausgehenden 15. Jh., und eine sehenswerte Jungfrau mit Kind. Und dann natürlich das Retabel des heiligen Bernardin und der Schutzengel des katalanischen Malers Jaime Huguet (1415-1492).