Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

Bevölkerung

Body: 

Pippinsche und Konstantinische Schenkung

»Borgate« - ein Ring in sich geschlossener Tabantensiedlungen

Der Skandal um Magliana

Auch der Kirchenstaat wurde 1929 noch einmal bestätigt. Ihren Anspruch darauf hatte die Kirche jahrhundertelang mit der sogenannten »Pippinschen Schenkung« durch den Frankenkönig Pippin I. (751-768) zur Zeit des Papstes Stephan II. begründet. Dieser erbat in Sack und Asche einen Krieg gegen die Langobarden, mit denen die Franken bis dahin in bestem Einvernehmen gelebt hatten, um seine Gebietsansprüche auf das Dukat Rom, Ravenna, das Exarchat und andere von den Langobarden besetzte Städte und ausgedehnte Gebiete in Nord- und Mittelitalien als rechtmäßigen Besitz des heiligen Petrus zu garantieren. Als Rechtstitel wies Stephan die sogenannte »Konstantinische Schenkung« vor, eine riesige, geistliche Fälschung aus der päpstlichen Kanzlei, elfhundert Jahre später von der Kirche eingestanden. Mit ihr sollte Konstantin d. Gr. (gest. 337) Papst Silvester I. angeblich die beanspruchten Gebiete übertragen haben. Dieser fromme Schwindel veranlaßte die Franken zu zwei blutigen Feldzügen gegen die Langobarden und ergab den Kirchenstaat, von fränkischen und sächsischen Herrschern immer wieder bestätigt.

In den sogenannten »Borgate«, einem Ring in sich abgeschlossener Tabantensiedlungen rings um die Stadt, wollte Mussolini vor allem die Bevölkerung einquartieren, deren Wohnungen der »Sanierung« des alten Roms zum Opfer fielen. Bis die Zementflut sie in den sechziger Jahren einholte, lagen diese Siedlungen vom Typ und völlig isoliert da. Halb Stadt, halb Land, geben sie die Szenerie für frühe pasolinische Romane und Filme ab. Ihre Helden sind an den Rand der bürgerlichen Gesellschaft gedrängte, ghettohaft isolierte Menschenmassen, die, um überleben zu können, ihre eigene Unterwelt aufbauen und sich weitgehend unabhängig von der übrigen Gesellschaft organisieren. Kriminalisiert und nur von der Polizei in Schach gehalten werden sie dementsprechend dementsprechend drangsaliert. Diese eigene Welt und Kultur des Überlebens, des Menschseins unter der Decke einer einförmigen, unmenschlichen Welt von Konsum und Zement, erstickte dann der Fortschritt der sechziger Jahre.
In den beiden ersten Nachkriegsjahrzehnten verdoppelte sich die Einwohnerzahl Roms. Die Bevölkerungsexplosion nährte sich vor allem aus der Einwanderung von Süditalienern und traf auf eine denkbar schlecht vorbereitete Stadt. Im Gegensatz zu anderen Metropolen fehlte Rom jede stadtplanerische Gesamtschau, so dass sich die Wohnviertel, nun außerhalb der Aurelianischen Stadtmauer, wild und formlos in die römische Campagna fraßen. Rom lief wie ein Ölfleck auseinander. Die allein aus geographischen und taktischen Gründen zur Hauptstadt aufgerückte Papststadt verfügte über keinerlei nennenswerte Industrie und lebte von einer aufgeblähten Staatsbürokratie und ihrem eigenen uferlosen Wachstum. Milliarden wurden von der hochverschuldeten Stadt in den Wohnungsbau gepumpt. Der größte Teil dieser Gelder kam nicht den Unterkünften der süditalienischen Einwanderer und der Infrastruktur der Stadt zugute, sondern blieb in den Taschen eines Kartells aus Bodenspekulanten, Bauunternehmern, Immobilienhändlern, der Stadtverwaltung und Kommunalpolitikern hängen. Es entstanden Trabantenstädte ohne Kanalisation, ohne Schulen, ohne öffentliche Verkehrsanbindung. Siebzigtausend Menschen hausten Anfang der siebziger Jahre noch in Baracken ohne Wasseranschluß. Bestechungsskandale und Korruptionsaffären kennzeichneten die römische Kommunalpolitik.

Beispielhaft ist der Skandal um Magliana, das in einer Schleife des Tibers und teils unter dessen Niveau liegt. Als Bauland war das Gelände daher entwertet und als Gebiet für die Ärmsten quasi prädestiniert. Auf 43 Hektar entstanden 1965-75 kanpp achttausend Wohnungen für 30.000 Einwohner. Das fertiggestellte Bauvolumen übertraf um ein Drittel die eingereichten und genehmigten Pläne. Entgegen der Pläne war das Gelände auch nicht aufgeschüttet worden, so dass der Fluß bei Hochwasser über die Kananalisation in die Häuser drückt und die Abflüsse nur unzulänglich funktionieren.

Erst Anfang der achtziger Jahre verschwanden die überall anzutreffenden Barackensiedlungen. Die Umsiedlung ihrer Bewohner in halbwegs annehmbare Neubausiedlungen zählt zu den wichtigsten Leistungen, die eine rote Stadtregierung zwischen 1976 und 1985 vollbrachte.

Von alledem wird der Kurzbesucher auf seinem Bummel zwischen Spanischer Treppe und Piazza Navona nichts ahnen. Allenfalls wird er etwas lädiert und kurzatmig aus den brechend vollen Bussen stolpern und sich des Gefühls nicht erwehren können, dass es eine Meute hysterischer Autofahrer auf sein Leben abgesehen hat. Bleibt er länger, wird er sich vielleicht eine Scheibe von der römischen Gleichgültigkeit abschneiden und sich wacker im alltäglichen Nahkampf proben. Sicherlich wird er trotz Urlaubsruhe nachfühlen können, dass Rom – dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr – auch zu einem Ärgernis für seine Bewohner werden kann.

Der Wandel hinterläßt auch im Herzen Roms deutliche Spuren. Roms sogenanntem römischsten Platz, dem Campo de´ Fiori, ist das deutlich anzusehen. Bevor die Verdrängung des »popolino romano«, des römischen Völkchens aus Handwerkern und kleinen Händlern, aus den uralten Wohnungen rund um den Platz begann, schlug das Herz der Stadt nirgendwo so unverfälscht wie hier, heißt es heute. Keine Kirche und kein Palast beherrschen den Platz – das gibt´s nicht oft in dieser Stadt. Er gehörte daher ganz den Leuten des Viertels, die ihr Leben, wann immer möglich, aus ihren engen Wohnungen auf die »piazza« verlegten. Rom trug hier lebendige, einfache und menschliche Züge. Wo sich noch vor dreißig Jahren morgens die Marktstände rund um die Statue Giordano Brunos drängten, ist das Angebot mit dem Wegzug der ursprünglichen Bewohner nun beträchtlich ausgedünnt. Der »Ketzer« wurde hier an 17. Februar 1600 von der Heiligen Inquisition verbrannt, da er die Unendlichkeit des Weltalls aus der Unendlichkeit Gottes schloß, womit sich die Annahme, Gott habe nur Endliches geschaffen, verbot. Lesenswert ist von Brecht »Der Mantel des Ketzers«. Kein Widerruf, kein Schmerzenslaut kam über die Lippen des verketzerten Dominikaners. Als man Bruno im letzten Augenblick durch Rauch und Feuer ein Kreuz vorhielt, wandte er sich nur verächtlich ab und starb.

Die malerische Zone um den Campo de´ Fiori wird besonders hart von der zügellosen Wohnungsspekulation getroffen. Wie anderswo auch breiten sich Firmenbüros, Freiberufler und reiche Ausländer aus – angestammte Bewohner ziehen weg. Den Möbelschreinern, Rahmenherstellern und Hutmachern in den lichtlosen Gäßchen rundherum ergeht es nicht besser. Modeboutiquen und Schuhläden zahlen höhere Mieten als die einfachen Handwerker und setzen sich folglich Stück um Stück durch.

So verflüchtigten sich fellinianische Szenen immer mehr vom Campo de´ Fiori, ohne jedoch ganz zu verschwinden. So manches Eckchen steckt noch voller römischer Lebensart. Lassen Sie sich überraschen!