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Borgo

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Mittelalterliches Viertel der kleinen Leute zwischen Vatikan und Engelsburg

Die malerischen Straßen des Borgo

Sehr viel ist nicht übriggeblieben von dem mittelalterlichen Viertel der kleinen Leute zwischen Vatikan und Engelsburg. Unter dem Faschismus wurden ab 1936 ganze Straßenzüge niedergerissen, um eine riesige Schneise in das päpstliche Viertel zu schlagen: die Via della Conciliazione. Trat man früher aus einem engen Gewirr von Straßen und Gäßchen plötzlich auf den weiten Petersplatz vor die größte Kirche der Christenheit, so wollten die Architekten Mussolinis einen geraden, freien Blick auf den imposanten Petersdom öffnen.

Wie auf einem Präsentierteller thront am westlichen Tiberufer die Engelsburg. Der römische Kaiser Hadrian – ein klassizistischer, raffinierter Ästhet – mußte sich der effektheischenden Lage bewußt gewesen sein, als er den Ort zu seiner Grabstätte erwählte. So entstand im 2. Jahrhundert das zylindrische Mausoleum Kaiser Hadrians, das später den Grundstock der Festung bilden würde. Ihren Namen verdankt die Burg einer Legende: auf dem Höhepunkt der Pest 590 ließ Papst Gregor I. eine große Prozession veranstalten, um ein Ende der Seuche zu erbitten. Den Gläubigen und dem Papst selbst erschien plötzlich über dem Mausoleum ein Engel, der – zum Zeichen des Friedens – sein Schwert in die Scheide steckte. Die Pest war gebannt – und an die Episode erinnert die Bronzestatue auf der Burg. Nebenbei: nicht die Papstwürde ist der höchste katholische Titel, wie manche fälschlich glauben, sondern der des Kirchenlehrers, der nur zwei Päpsten verliehen wurde. Einer davon war besagter Gregor I. mit dem Beinamen der Große, ein halbes Jahrtausend Quelle christlicher Erbauung und »Wissenschaft«, und u.a. bekannt dafür, dass er vier Bücher mit unglaublichstem, haarsträubendstem Blödsinn füllte, u.a. dem todernst gemeinten Bericht von der Nonne, die versehentlich den auf einem Salatblatt sitzenden Belzebub verputzt.

Bereits zu Zeiten der Legende hatte die kaiserliche Grabstätte eine Verteidigungsfunktion. Sie war als befestigter Brükkenkopf in die Aurelianischen Mauern einbezogen. Vom 10. Jahrhundert an diente sie nach weiteren Anbauten den Päpsten als Fluchtburg. Um den Schlupfwinkel noch sicherer zu machen, ließen die Kirchenväter 1281 einen überdachten Gang bauen, den »passetto«, der den Vatikan mit der Engelsburg verband und bis heute oberhalb der Leoninischen Mauern noch sichtbar ist. Die letzten Befestigungsarbeiten erfolgten 1560, als das fünfeckige Bollwerk errichtet wurde, das heute die umliegenden Gärten begrenzt. Während der Inquisition diente die Festung als Kerker und Folterkeller, wo außer Giordano Bruno, Cagliostro und Benvenuto Cellini viele andere »Ketzer« ein wenig engelhaftes Dasein fristeten.

Papst Nicolas V. (1447-55), dem der Lateran, bis dahin Residenz der Päpste, zu unsicher wurde, verlegte seinen Sitz auf den Hügel des Vatikans im Schutz der Engelsburg. Ein weiser Entschluß, denn so entkam er bei der Eroberung Roms 1527 durch spanische und deutsche Truppen Karls V. den Landsknechten Frundsbergs, der die Stadt zur Plünderung freigegeben hatte (Sacco di Roma). Im vatikanischen Kerker hockte damals Cellini, dem der Papst die Freiheit bot, wenn er sein technisches Wissen in den Dienst der Verteidigung der Burg stellen würde. Nachlesen in seiner von Goethe übersetzten Autobiographie.

Die malerischen Straßen des Borgo beleben sich heute vor allem abends. Neben den traditionellen Trattorien öffneten in den vergangenen Jahren immer neue Kneipen und Musiklokale ihre Pforten. So verwandelte sich ein altes, leerstehendes Kino z.B. in den beliebten Rockkonzert-Saal Castello – mit angeschlossener Diskothek und schönem Garten unter der Leoninischen Mauer.