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Eigenschaften eines Römers

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In Rom fängt Afrika an?

Atemberaubende Schönheit und heilloses Chaos

Ins Nichtstun ebenso vernarrt wie ins Essen

Nunmehr heißt es, den Blick von den himmlischen Kuppeln mitten auf die Niederungen des römischen Alltags zu lenken. Die atemberaubende Schönheit der Kunstschätze und das heillose Chaos haben Ihre Neugier auf das Rom der Römer, auf einen Eindruck vom Leben der Menschen in der Ewigen Stadt, hoffentlich noch nicht erschöpft.

»Rom?« – »Da fängt in Wirklichkeit Afrika an.« In dieser herablassenden Behauptung gipfeln meist die bissigen Bemerkungen der Norditaliener aus Genua, Mailand oder Verona über ihre Hauptstadt. Das soll so viel heißen wie: Rom ist chaotisch, anarchisch – und sehr fern. Besucher können das vermutlich nachvollziehen: der Zug traf mit eindreiviertel Stunden Verspätung ein. Gleich am Bahnhof haben sie sich eines von allen Seiten auf sie einredenden Heeres freundlich dreinblickender Nepper zu erwehren, die Taxen und »billige« Pensionen anpreisen. Wer mit dem eigenen Auto angereist ist, hat hoffentlich bereits beim glücklichen Erreichen des Hotels festgestellt, dass es in Rom ratsam ist, sich zwecks Fortbewegung auf die eigenen Beine zu besinnen. Und bei der Hauptpost ein Einschreiben aufzugeben, kostet nicht nur den Fremden eine Engelsgeduld. Über die Frage, wozu eigentlich eine Schlange gut sein soll, wird jeder mehrmals täglich nachdenken – die sich vordrängelnden Römer gewiß nicht.

Norditaliener beschreiben die Eigenschaften eines Römers wie folgt: blasiert, gleichgültig, selbstzufrieden, laut, arrogant und ins Nichtstun ebenso vernarrt wie ins Essen. Hinter Klischees mag sich immer ein wahrer Kern verbergen – aber: wer sind diese Römer eigentlich? Einen echten Römer kennenzulernen, ist sehr schwierig. Auf römische Großeltern kann nur eine Minderheit der rund vier Millionen Bewohner Roms verweisen. Und das ist auch kein Wunder: als 1870 piemontesische Truppen durch die Porta Pia in das päpstliche Rom einmarschierten und damit die italienische Einheit vollzogen, wohnten gerade zweihunderttausend Menschen in Rom. Das sollte sich rasch ändern. Die Einwohnerzahl der neuen Hauptstadt schoß in die Höhe, und Rom veränderte zum x-ten Mal von Grund auf sein Gesicht. Die dösige Klerus- und Pilgerstadt sollte sich zur Hauptstadt eines modernen Industrielandes mausern – eine denkbar schlechte Vorbereitung. Der Bedarf an Ministerien, Botschaften und Kasernen, an Wohnungen, Schulen und Krankenhäusern überforderte die neuen Regierenden. Ohne urbanen Sinn und Verstand wurden Mietskasernen für die vor allem aus den südlichen Regionen, rund um Neapel, aus Apulien und den Abruzzen, einströmenden Massen auf den freien Flächen errichtet. Hier begann, so sagen viele Stadtplaner und Architekten, die Verschandelung Roms.

Der Grüngürtel aus weit über hundert Villenparks des römischen Adels rund um die Innenstadt wurde zerstört. An die mächtigen Familien Roms, die Colonna, die Orsini, die Barberini und viele andere, erinnern nur noch Straßennamen. Villa Borghese oder Villa Pamphili zeugen heute stellvertretend von den herrschaftlichen Wohnsitzen des Feudal- und Papstadels inmitten weitläufiger Parkanlagen. Noch auf Darstellungen des 19. Jahrhunderts liegt Rom in Gärten und Weinreben gebettet.

Die Stadt dehnte sich dann rasch weiter aus, Parklandschaften wurden untergebaggert, das Terrain innerhalb der Mauern wieder vollkommen ausgefüllt. Der chaotische Wildwuchs wurde während des Faschismus in den dreißiger Jahren von einer gezielten Stadtpolitik abgelöst. Ein Segen für das Stadtbild waren Mussolinis Eingriffe jedoch nicht. Rom wurde ohne Rücksicht auf geschichtliche Zusammenhänge an einer Reihe von neuralgischen Punkten auf den Kopf gestellt und einer politischen Symbolik geopfert. Die vierspurige Trasse durch die antiken Foren und die schnurgerade Prachtstraße Via della Conciliazione vom Tiber zum Petersdom sind zwei Beispiele. Für erstere wurde eine einmalige archäologische Landschaft zerschnitten, für die zweite Trasse das alte, aus verwinkelten, engen Gassen gebildete Viertel Borgo weitgehend dem Erdboden gleichgemacht. Der Name, Straße der Versöhung, erinnert an den Lateranvertrag vom 11. Februar 1929, das Konkordat zwischen Staat und Kirche, das einerseits eine Stärkung des faschistischen Regimes bewirkte und im Gegenzug die Zahlung von damals drei Milliarden Lire an den Vatikan vorsah, damals eine Riesensumme. Ferner wurde der Kirche erheblicher Einfluß auf das öffentliche und politische Leben eingeräumt.