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Tony Blair

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Gegenwart

Jedem sein Abgang: Bei Ersatz-Queen Margaret Thatcher – „Es hat Uns sehr gefallen“ (Thatcher nach einem Moskau-Besuch) – musste es ein Volksaufstand sein. Beim blassen John Major reicht eine Parlamentswahl.

1997- Die Blair-Jahre

1997 Am 1. Mai erzielt Anthony Charles Lynton Blair (1953-) einen erdrutschartigen Wahlsieg über die ausgebrannte Regierung: Labour 419 Sitze, Tories 165, Liberale 46. Doch wo Labour draufsteht, ist jetzt New Labour drin: Der charismatische Oxford-Absolvent (Jura im St John´s College) steht für EU-Integration, Privatisierung und Abstand zu den Gewerkschaften. Die Euphorie des Wechsels führt zu weniger Arbeitslosen (1998: 6,2%) und einem neuen Boom in London. Als Strahle-Bub der Neuen Mitte erwirbt sich Blair besonders auf der Weltbühne Meriten. Seine Arbeit wird erleichtert durch eine konservative Partei, die nach 18 anstrengenden Regierungsjahren nur noch Nabelschau betreiben will.

Am 31. Aug stirbt Prinzessin Diana bei einem Autounfall in Paris. Die Trauerfeier am 6. Sep in der Westminster Abbey gerät zum drittgrößten Medienereignis des Jahrhunderts.

1998 Am 7. Mai sprechen sich bei einem Referendum 72% der Londoner für die Einrichtung eines Gesamtstadtrats und die Direktwahl des Bürgermeisters aus. Ken can come!
2000 London will zur Welthauptstadt des Milleniums werden. Es beginnt mit einer wall of fire über der Themse, dem größten Feuerwerk, das die Stadt je gesehen haben könnte; leider sieht´s im Nebel kaum jemand. Neue Bauwerke sollen die Begeisterung schüren, doch das London Eye wird nicht rechtzeitig fertig, Norman Fosters Millenium Bridge wegen Wippeinlagen nach zwei Betriebstagen geschlossen und der Millenium Dome zur Mega-Pleite. Spötter übersehen indes, dass auch Großartiges gelingt: Tate Modern erobert sofort die Publikumsgunst, der Great Court im British Museum ist beeindruckend und das London Eye, als es sich endlich zu drehen beginnt, tatsächlich das schönste Riesenrad der Welt.

Der Rote Ken, Teil II: Wer bietet Blair die Stirn?

Nach der Auflösung des Greater London Council 1986 fristet Ken Livingstone ein ruhiges Dasein als Unterhausabgeordneter der Labour-Linken. Erst unter Tony Blair wird das neue Amt des Mayor of London geschaffen, der im Gegensatz zum folkloristischen Lord Mayor echte Befugnisse besitzt, und weitgehende dazu. Als Blair davor zurückschreckt, den Ex-GLC-Führer zu nominieren („Er wäre eine Katastrophe für London“), erhöht das eher noch die Populärität des Roten Ken. Nach 31 Mitgliedsjahren tritt Livingstone aus Labour aus, als parteiloser Kandidat an und fährt am 4. Mai 2000 einen haushohen Sieg ein. Dann folgt der Schock, just als sich GB an Tony Blairs Unfehlbarkeit gewöhnt hatte: Im Dez 2003 leistet der Premier Abbitte! Er tut Buße, lobt Ken Livingstone für seine Erfolge im Dienste Londons und nimmt ihn wieder in die Partei auf. Der wird im Juni 2004 anstandslos wiedergewählt – der richtige Mann für London. Fortsetzung siehe 2003.

Landesweite Proteste gegen eine Benzinpreiserhöhung führen zu Blockaden der Tankwagen, so dass London 48 Std lang ohne Sprit dasteht.

2001 Eine Serie schwerer Eisenbahnunglücke, u.a. in Ladbroke Grove, bringt die überstürzte Privatisierung von British Rail ins Gerede. Der Bahnverkehr kommt fast zum Erliegen, weil längst fällige Gleisarbeiten nun überhastet nachgeholt werden.

Im Frühjahr trifft der Ausbruch der Maul- und Klauenseuche GBs Landwirtschaft. Ganze Landkreise werden hermetisch abgeriegelt, bergeweise Tierkadaver verbrannt, auch in London bricht die Touristenzahl ein.

Trotz großer Ernüchterung gewinnt Labour (42%) am 7. Juni die Unterhauswahl gegen die Konservativen (31%), deren farbloser Führer William Hague sofort zurücktritt. Labour 412 Sitze, Tories 166, Liberale 52.

Seit 1996 hat der prekäre Friedensprozess in Nordirland London vor IRA-Bomben verschont. Im März (Shepherd´s Bush) und Aug (Ealing) schlagen die Terroristen wieder zu, konzentrieren sich ansonsten aber auf den Ausbau ihres mittlerweile etablierten Mafia-Geschäfts: Geldwäsche, Schutzgelder, Auftragsmorde. Dafür rückt in diesem Jahr der internationale Terror ins Blickfeld; siehe 2004.

2002 Fünf Jahre lang hielten die Gewerkschaften Labour die Stange, jetzt streiken sie wieder: Am 18. Juli stehen Londons U-Bahnen still, eine Million Pendler drängt sich in überfüllten Bussen oder begibt sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad (!) zur Arbeit. Ähnliche „Nichts-geht-mehr-im-Untergrund“-Tage wiederholen sich seither regelmäßig im Juli. Doch die Streiks für kürzere Arbeitszeiten scheinen nicht unberechtigt: Laut OECD (2004) arbeiten Briten mit 1700 Stunden pro Jahr erheblich länger als Franzosen oder gar Deutsche (1550 bzw. 1450 Std). Auch viele Lehrer, Handwerker, Büroangestellte, die in London arbeiten, müssen morgens gegen sechs raus und kehren abends nicht vor neun heim. Weil sie sich eine Wohnung in der teuersten Stadt Europas nicht leisten können, sehen sie ihre Kinder nur am Wochenende.

Die Metropolitan Police, besser bekannt als Scotland Yard, gibt bekannt, dass auf Londons Straßen jeden Tag 160 Menschen ausgeraubt würden. Im Szeneviertel Camden Town (jährlich 14 Millionen Touristen) sei die Mordrate nun so hoch wie in Johannesburg oder Moskau. Eine Straße in Hackney, laut MP Londons gefährlichstes Pflaster, trägt wegen zahlreicher tödlicher Schießereien den Beinamen Murder Mile. Ironie der Geschichte: In den 60er Jahren, als die berüchtigten Edgar-Wallace-Filmen London so unheimlich, nebelig und voller Dunkelmänner darstellten, war die Stadt an der Themse einer der sichersten Orte in Europa.

2003 Im Mai trägt das Gesangs-Duo Jemini den britischen Beitrag zum europäischen Schlager-Grand Prix vor. Ausbeute: null Punkte. Kein Mitleid, nirgendwo. Solche Demütigungen waren bisher bestenfalls Malta oder Mazedonien vorbehalten. Nicht einmal die Länder des „Neuen Europa“, seit März Waffengenossen der Briten im Irak, kommen der Mutter der Demokratie und ihrer Popmusik mit einem Pünktchen zu Hilfe. Ein Labour-Abgeordneter meint, dieses Schlagerfestival sei eine „gigantische Meinungsumfrage“ unter den Europäern gewesen; jetzt wisse GB, wo es „mit seiner Arroganz und Bündnistreue zu Bush“ stehe. Bei einer echten Umfrage halten nur 31 Prozent der Briten die EU-Mitgliedschaft ihres Landes für eine gute Sache.

Im Jahrhundertsommer 2003 fahren immer mehr Londoner Bus und U-Bahn mit nacktem Oberkörper. Macht nix, sagt eine italienische Modedesignerin: Die Briten seien ohnehin das am schlechtesten angezogene Volk Europas. Der Guardian entgegnet, man möge in dieser Rangliste die Deutschen nicht vergessen. Beweise für deren schlechten Geschmack seien Boris Beckers Haarschnitt und ihre Begeisterung für Robbie Williams.

Am frühen Abend des 28. Aug legt ein massiver Stromausfall weite Teile von London eine Stunde lang lahm. Über 20.000 Fahrgäste sind in den U-Bahnen gefangen, 500.000 Menschen von der Panne betroffen. Verantwortlich für den Blackout, dessen amerikanischer Cousin zwei Wochen zuvor New York ins Chaos gestürzt hatte, ist die maßlos veraltete Infrastruktur im Verkehrs- und Energiebereich. Bürgermeister Livingstone geißelt die Privatisierungspolitik der Regierung, ein Energieexperte sagt in der BBC, Strom sei jetzt so billig, dass Investitionen vernachlässigt würden. „Wenn wir nicht auf diese Warnung hören, sind wir bald wie ein Land in der Dritten Welt.“

Im Sep/Okt verbringt David Blaine 44 Tage ohne Nahrung in einem Plexiglaskasten, der nahe der Tower Bridge über dem Themse-Ufer hängt. Ausgestattet ist der Hungerkünstler, dem täglich Tausende von Touristen (und nur wenige Londoner) bei der Arbeit zuschauen, nur mit einer Wasserflasche, einem Schreibblock, Decken und Abfalltüten. Klingt britisch – Blaine kommt aber aus Brooklyn NY.

Gut erholt vom Beinahe-Ersticken an einer Brezel kommt George W. Bush im Nov zum viertägigen Besuch nach London. Gullies werden versiegelt, Ventilationsschächte zugebaut, 14.000 Polizisten sorgen dafür, dass der US-Präsident außer Blair kaum einen Insulaner zu Gesicht bekommt. Derweil protestieren, wie schon im Feb und März, über 100.000 Briten gegen den Irakkrieg.