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Roter Ken

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Der Rote Ken, Teil III

Wer bietet Bush die Stirn?

Finden Sie mal einen Londoner, der sich ein anderes Stadtoberhaupt als Ken Livingstone vorstellen kann. Sind´s seine Taten? Die liegen auf New Labour-Linie: business-freundlich, moderne Skyline für die City, eine erfolgreiche Innenstadt-Maut, unermüdlicher Einsatz gegen die Trafalgar-Taubenplage – aber nur mäßige Erfolge gegen die Kriminalität und die Mega-Schulden (1,5 Milliarde €) der Transportbehörde (für die allerdings die Regierung zuständig ist). Oder sind´s nach Blair-Art eher die Worte? Livingstone ist da „kein Mann der Pastelltöne“ (SZ). Zur WTO-Tagung schlägt er vor, Mitglieder der Welthandelsorganisation mit rohen Früchten zu bewerfen. Dem globalen Kapitalismus wirft er vor, er habe „mehr Menschen auf dem Gewissen als Adolf Hitler“. Zum Londonbesuch des US-Präsidenten 2003 fällt ihm ein: „George Bush ist die größte Bedrohung für das menschliche Leben auf diesem Planeten.“

2004 Kurz nach George W. Bushs unfallfreier Abreise kommt Ende Jan ein Untersuchungsausschuss unter Lord Hutton im Parlament zum Schluss, die Geheimdienste hätten vor Kriegsbeginn ein Dossier über das angebliche Arsenal irakischer Massenvernichtungswaffen „aufgesext“ (demnach konnte Bagdad binnen 45 Minuten Bio- und Chemiewaffen aktivieren). Das sei aber ohne Wissen der Regierung Blair geschehen, entsprechende Behauptungen der BBC seien falsch. Darauf treten BBC-Generaldirektor Dyke und Rundfunkratspräsident Davies zurück, obwohl die BBC laut The Times „immer noch mehr Vertrauen als jede Regierung hierzulande“ genießt. Huttons Untersuchungsbericht gelangt trotz strenger Geheimhaltungsauflagen vorzeitig an die Presse.

Bei der Wahl zum Europaparlament im Juni erleidet Labour einen in der britischen Geschichte beispiellosen Absturz. Tony Blairs Partei landet mit 26 Prozent nur auf dem dritten Rang, hinter Konservativen und Liberalen. Hauptgewinner (16%) ist die eigens gegründete UK Independence Party, deren einzige Parole lautet: Raus aus der EU.

Im zweiten Quartal steigt GBs Bruttoinlandsprodukt nochmals um 3,6 Prozent. Während in Deutschland alles über 1 Prozent als Erfolg gilt, wächst die Wirtschaft auf der Insel seit 1992 ohne Pause, Quartal für Quartal. Laut EU-Statistik übertrifft das britische Durchschnittseinkommen, gemessen an der Kaufkraft, das deutsche jetzt um zehn Prozent. Labour-Finanzminister Gordon Brown, Blairs mutmaßlicher Nachfolger als Premier, rechnet seinen Landsleuten vor, dass „der Wert des privaten Nettovermögens heute um 40 Prozent höher“ liege als beim Machtwechsel zu Labour 1997.

Im Aug nimmt Scotland Yard Dutzende von „Personen asiatischer Herkunft“ fest, nachdem auf dem PC eines verhafteten Al-Qaida-Mannes in Pakistan detaillierte Pläne von Heathrow gefunden wurden. Seit dem 11. Sep 2001 wies jederzeit jeder „Terror-Experte“ (wie wird man das eigentlich?) ungefragt darauf hin, dass London als Terrorziel hochgradig gefährdet sei, zumal seine U-Bahnen. Auch über einen Anschlag auf den Flughafen war in der Presse schon lange spekuliert worden. Nach amtlichen Angaben wurden von 2001-04 in GB 609 Terrorismus-Verdächtige verhaftet, davon aber nur 99 angeklagt und 15 verurteilt. Jetzt verschärft die Regierung ihren War on Terror, verdoppelt 2004 den Etat des Inlandsgeheimdienstes MI5 auf 450 Millionen €, lässt 50 „plausible Terrorziele“ verstärkt bewachen und ums Parlament Panzersperren errichten – wegen der vielen Gruppen vermummter arabischer Männer, die in Panzern durch Westminster brettern.

Mietpreis: Darf´s ein bisschen mehr sein?

Nachdem die Preise für Häuser und Wohnungen in den vergangenen neun Jahren um 170 Prozent gestiegen waren, nähert sich der Aufschwung an GBs Immobilienmarkt 2004 seinem Ende. Nirgends sonst in Europa gab es seit 1995 ähnliche Steigerungsraten. Zugleich fehlt es in London mehr denn je an bezahlbaren Wohnungen in akzeptabler Lage. Weil die Stadt kaum noch Bauland ausweisen kann, konzentriert sich die Nachfrage auf bestehende Bausubstanz. Und die ist jetzt in London so teuer, dass sich viele 30-Jährige, die schon jahrelang im Beruf stehen, notgedrungen in Zweck-WGs wiederfinden. Mietbeispiel aus der Times: Doppelhaushälfte in gutbürgerlichem Viertel, 75 qm Wohnfläche, kleiner Garten, Mini-gerechte Garage, mangelhafte Heizung, per U-Bahn eine Std bis zur City, Kaltmiete 3000 € ? pro Monat.

2005 Im Apr enden 35 Jahre Spießrutenlauf für Prinz Charles und Camilla Parker Bowles. Das Paar, das sich 1970 (damals waren beide 23) beim Polospiel in Windsor kennenlernte und laut FAZ „bald näherkam“, gibt sich in Windsor das Ja-Wort. Wegen rechtlicher Schwierigkeiten geschieht das nicht im Schloss, sondern im Standesämtchen des Provinzkaffs. Frühzeitig lässt die Queen mitteilen, sie werde bei der Trauung – 184 Schritte von ihrem Wohnsitz, wie die Sun errechnet – nicht dabei sein, wohl aber zur Segnung des Brautpaares in die Kapelle von Schloss Windsor kommen. Am 4. Apr muss die Trauung um einen Tag verschoben werden, da am geplanten Termin (8. Apr) die Trauerfeier für Papst Johannes Paul II. in Rom stattfindet und die Queen ihren Sohn dorthin abkommandiert. 7,3 Millionen Briten verfolgen am 9. Apr die TV-Übertragung der royalen Hochzeit; beim Charles-Diana-Termin 1981 waren es 28 Millionen gewesen. O-Ton FAZ:
Das knapp über das Knie reichende Seidenkleid mit Flachpailletten am runden Ausschnitt und am Saum gab der Braut die Gelegenheit, ihre vorteilhaftesten Körperteile, die Beine, dezent zu zeigen.

Am 5. Mai erringt Labour erstmals in seiner 105-jährigen Geschichte den dritten Wahlsieg in Folge, verliert aber arg an Boden. Blairs Partei kommt auf 37 Prozent der Stimmen, vor Konservativen (33%) und Liberalen (22%). Dank des Mehrheitswahlrechts hat die Regierung künftig 66 Unterhaussitze mehr als die anderen Parteien zusammen; zuvor betrug dieser Vorsprung 165 Sitze. Labour 356 Sitze, Tories 197, Liberale 62. Nach der Wahl kündigt Michael Howard, der fünfte Tories-Chef seit Thatcher, seinen Rücktritt an.

Die alten roten Telefonhäuschen sind längst passé, nun kippt ein weiterer Pfeiler Ur-Londoner Tradition. Beiläufig gibt die Transportbehörde bekannt, im Okt 2005 würden die alten Routemaster-Linienbusse (Modell 1954) mit asymetrischer Front und offener Hop-On-Plattform am Heck eingemottet. Siehe auch „50 Jahre über die Themse, jetzt über den Jordan“ unter Herumkommen/Busse.

Im Juni erobert erstmals ein Handy-Klingelton Platz eins der britischen Charts. „Crazy Frog“ entstammt dem Computer der deutschen Band Bass Bumpers. Der Remix aus Klingelton (bekloppter Frosch) und Harold Faltermeyers „Axel F.“ verweist sogar die neue CD der Britpopband Coldplay auf Platz zwei.