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Neasden

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NW10: Neasden & Wembley

Europas erster Hindutempel

U Neasden (Zone 3) oder Wembley Park (Z4).

Neasden zählt zu den Vorstädten, in denen sich London von seiner deprimierenden Seite zeigt. Zwar liegt in dieser grauen Gegend auch die Wembley Arena. Ansonsten drang das Leben aber nicht in Neasdens Tristesse vor, bis 1995 ein ungewöhnlicher Tempel eröffnete.

Shri Swaminarayan Mandir 105-19 Brentfield Rd, NW10, T. 8965 2651. U Neasden (Zone 3). Tgl. 9-18h. Eintritt frei.

Detailreich verkörpert Europas erster traditioneller Hindutempel (mandir) die Lebensweise im Hinduismus, dessen Erbe 5000 Jahre zurückreicht. Man landet in einer fremden Welt!

Die gesamte Anlage beeindruckt mit weißen Pfeilern, Türmen, Kuppeln, Schreinen, Schnörkeln, Schnitzereien, Steinarbeiten im Zuckerbäckerstil. Den weitaus größten Teil des Tempels nimmt eine Begegnungsstätte (haveli) inklusive Sporthalle, Bücherei und Großküche ein. Wer auf scharf gewürzt steht, probiere hier den frisch bereiteten Mumbai Mix.Tgl. 9-12h und 16-18h treten Verkörperungen der Götter (murtis) in Aktion. Wer zuschauen will, stelle seine Treter beim Portal ab; Besucherinnen mit Rock oder Shorts erhalten ein Wickeltuch.

Attraktion. Die lange Anfahrt muss niemanden vom Besuch abhalten. Tatsächlich kamen im ersten Jahr des Bestehens schon 700.000 Besucher, neben gläubigen Hindus, Sikhs, Muslims und Schulklassen sogar die eine oder andere japanische Tourgruppe, um sich im Museum über Ursprung und Lehre des Hinduismus zu informieren. Bald soll in der Umgebung der größte Sikhtempel außerhalb Indiens folgen.

Hindus in London: Hier bleiben wir!

Bevor der mandir im Aug 1995 eingeweiht wurde, waren 5000 Tonnen bulgarischen Sandsteins und italienischen Carrara-Marmors nach Indien zu verschiffen. Dort wurden sie von 1526 Handwerkern honorarfrei nach alten Stilmustern behauen, in 26.300 Einzelstücken nach London verfrachtet und in situ zusammengesetzt. So mancher Ingenieur, Elektriker oder Angestellte nahm sich ein Jahr frei, um hier beim Bau zu helfen. Indische Familien aus ganz England verbrachten ihre Wochenenden damit, den Marmor zu polieren oder anderswo Hand anzulegen. Westeuropa darf lange zurückrechnen, wann zuletzt eine gemeinschaftliche Leistung solche Großbauten ermöglichte – es waren wohl die Kathedralen im Mittelalter.

Die Baukosten (12 Millionen Pfund) kamen allein durch Spenden zusammen. Ebenso stolz ist Londons Hindugemeinde darauf, das erste durchgehend steinerne Gebäude seit den Houses of Parliament (1840) geschaffen zu haben. Damit setzte sie zugleich ein Zeichen: Hier sind wir, hier bleiben wir. Zuvor hatten die Hindus schlichte Lagerhäuser als Tempel genutzt.

Wembley Arena Empire Way, Wembley Rd, NW10, T. 8902 0902. www.wembleystadium.com. U Wembley Park (Zone 4) oder Bhf Wembley Stadium.

Der Hohetempel englischen Fußballs, 1923 eröffnet, ist nicht mehr. Am 30. Sep 2002 wurde das alte Stadion abgerissen und weggebaggert. Bis zum FA Cup-Finale am 13. Mai 2006 soll an dieser Stätte eine neue „Kathedrale des Fußballs“ erstehen, wie ihr Architekt Lord Norman Foster verspricht. Seine Zahlen kennen kein Mittelmaß: Wembley wird mit 1,2 Milliarden € die teuerste Arena der Welt sein, 90.000 Komfortplätze umfassen und 2000 Toiletten (im alten Stadion gab´s 36), und über alles soll sich ein – nachts angestrahlter – Bogen von 133m Höhe wölben.

Falls Fußball noch ein Fünkchen Identität für jene Schichten gestiftet haben sollte, aus denen er herkam: in Wembley wird es ihm ausgetrieben. Bleibt nur die Frage, ob Athleten, die mit ihren Darbietungen mühevoll Millionen errackern, sich mit 133m Bogenhöhe zufriedengeben.

Hamann in Wembley: Why not the Didi-Bridge?

7. Okt 2000: 14. Minute im WM-Qualifikationsspiel England gegen Deutschland. Der Schiri pfeift Freistoß, gibt den Ball frei, während Englands Torwart David Seaman noch seine Verteidiger einweist. Da zieht Gästespieler Dietmar „Didi“ Hamann aus 25 Torentfernung trocken ab. Der Ball gleitet über den nassen Rasen, schlägt links unten in Seamans Kasten ein. Deutschland gewinnt 1:0, durch den letzten Treffer in der 77-jährigen Geschichte des alten Wembley-Stadions.

22. Mai 2005: das Ende des größten Internet-Votums in GB. Millionen von Webbern haben darüber abgestimmt, wie die spektakuläre Fußgängerbrücke zum neuen Stadion heißen soll. Und der Sieger unter 670.000 Vorschlägen heißt – Dietmar Hamann. Deutsche Tageszeitungen von der SZ bis zur Badischen Zeitung hatten mobil gemacht, und ihre Leser (die genaue Zahl geben die Londoner Organisatoren nicht bekannt) hatten sich dem historisch unschlagbaren Argument gebeugt. Doch die dreiköpfige Jury vor Ort spielt nicht mit: Ein Radiomoderator der BBC, Londons Bauamtsleiter und der Geschäftsführer des neuen Stadiums lassen nur fünf Vorschläge für die zweite, endgültige Abstimmung zu: drei englische WM-Helden von 1966, ein weißes Pferd und das Live Aid von 1985. Am 22. Mai gewinnt Billy the White Horse, das (gemeinsam mit dem Constable obendrauf) vor dem ersten Pokalfinale 1923 die überquellende Zuschauermenge behutsam vom Rasen gebeten hatte.

Tja, schade um die ungenutzte Chance, dem englischen Deutschland-Bild jenseits ewiger Nazi-Posen einen neuen Kick zu verpassen.