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Tower Ravens

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Was sagen uns ... Tower Ravens?

Grüselige Geschichten

Beim Wakefield Tower fristen die berühmten Raben ihr Dasein, deren Vorfahren erstmals in Quellen um 1170 auftauchen. Für die Population wirkte sich nie nachteilig aus, dass im Mittelalter Speisereste einfach aus dem Fenster befördert wurden. Dramatisch stiegen die Rabenzahlen aber im 15.-17. Jh., als enthauptete Verräter gern monatelang zur Schau gestellt wurden: dem Bürger zur Abschreckung, dem Raben zum Festschmaus. Seit der Abschaffung der Todesstrafe sind zumeist ihrer sechse Subjekte der liebevollen Betreuung durch einen raven master und sorgen dafür, dass England hin und wieder erzittert. Hartnäckig nährt nämlich die yellow press die Legende, ein Verschwinden der Raben bedeute das Ende der Monarchie. Um beides zu verhindern, wurden ihre Flügel gestutzt. Und wenn mal einer stirbt, wird heimlich Nachschub geholt – aus Schottland!

Bloody Tower. Westl. vom Wakefield Tower erhebt sich jener Turm, der den milderen Namen Garden Tower trug, bis 1483 der 13-jährige König Eduard V. und sein Bruder Richard darin ermordet wurden. Als Anstifter gilt allgemein ihr Onkel, der dadurch zum Kurzzeit-König Richard III. wurde. Doch zu den Ungereimtheiten des Falles zählt auch, dass mit dem kinderlosen Richard die York-Dynastie ausstarb. Die Skelette der Knaben wurden 1674 unter der Treppe zur St John´s Chapel entdeckt.

Allerlei Funde erinnern an die Tage, da Sir Walter Raleigh (1552-1618) hier gefangen saß. Unter Elisabeth I. noch am Busen der Macht, zum Sir geadelt, mit den Neuigkeiten Tabak und Kartoffel aus Mittel- und reichlich Gold aus Südamerika heimgekehrt, fiel der dichtende Seefahrer bei Jakob I. sofort in Ungnade. Erinnert an das Verhalten heutiger Manager: Kommst du neu in einen Betrieb, schmeiß zuerst die key player raus. Seine Haft 1603-16 nutzte Raleigh, um den ersten, bis 130 v. Chr. reichenden Band der History of the World zu verfassen; ein Exemplar davon liegt aus. Dann schickte Jakob ihn auf ein Himmelfahrtskommando an den spanisch kontrollierten Orinoco. Als Raleigh nicht reüssierte, landete er wieder im Tower. Und dann auf dem Schafott in Westminster.

White Tower. Im Zentrum der Anlage steht unübersehbar ihr Ur-Gebäude (1076-78), romanisch-massiv und mit vier Zinnen bewehrt, das Heinrich III. 1240 weiß tünchen ließ. Der Turm blieb fast in seiner Ur-Form erhalten, obzwar Christopher Wren ihm im 17. Jh. seinen „eigentlich römischen Grundstil“ zurückgeben wollte (hatte wohl zuviel Shakespeare gelesen). Dazu fügte er Renaissanceschnörkel an und vergrößerte die Fenster. Im Inneren geht aber alles noch normannisch zu.

In der erschöpfenden Kollektion von Waffen, Rüstungen und Folterbedarf (neun Galerien!) entdeckt man auch eine Kinderrüstung, die Jakob I. seinem Spross Heinrich schenkte; außerdem die Axt samt Holzklotz, die 1747 Lord Simon Fraser am Tower Hill ins Jenseits beförderte. Mit 80 Jahren ist der Schotte das älteste Henkersopfer in Londons Annalen.

Tower Green. Westl. vom White Tower gibt sich etwas Grün alle Mühe, unschuldig zu wirken. Dabei ist dies die Stelle, auf der Heinrich VIII. das Schafott platzierte, um sich von Anne Boleyn (1536) und Catherine Howard (1542) zu scheiden. Seine Opferliste umfasst auch Howards Zofe, Jane Rochford, und die 70-jährige Gräfin von Salisbury, Margaret Pole, deren „Verbrechen“ schlicht ihre Abstammung aus dem Hause York war.

Dagegen war Jane Grey bei ihrer Enthauptung erst 16 Jahre alt. Reformierte Hintermänner hatten sie noch am Tag, da Heinrichs schwächlicher Sohn Eduard 1553 kinderlos starb, zur Königin ausgerufen, um die Thronbesteigung von Maria, Heinrichs katholischer Tochter aus erster Ehe, zu verhindern. Doch während Lady Jane im Tower auf ihre Krönung wartete, wendete sich das Intrigenblatt am Hofe, und nach neun Tagen kamen Marias Schergen, um das Mädchen seinem Henker vorzustellen.

Im Tower selbst wurden viele Todesurteile gefällt, aber nur sieben vollstreckt. Das betraf die fünf genannten Frauen (vermutlich befürchtete Heinrich VIII. öffentliche Anteilnahme für seine Opfer), außerdem Wilhelm Lord von Hastings 1483 und Robert Devereux 1601. Die übrigen „Hochverräter“ wurden auf dem Tower Hill jenseits der Festungsmauern enthauptet oder – bei niedrigem Stand – am Tyburn Tree erhängt (siehe Hyde Park). „Ketzer“ wie der Reformator Thomas Cranmer (1489-1556), Erzbischof von Canterbury, landeten auf Geheiß von Maria der Katholischen gar auf dem Scheiterhaufen.

Beauchamp Tower. Um Tower Green liegen hübsche Tudorhäuser, die das Personal des Towers bewohnt, und die Residenz seines Kommandanten, Queen´s House. Im Turm (um 1281) westl. vom Schafott war Thomas Beauchamp, Graf von Warwick, 1397-99 inhaftiert. Die Wände sind so überfüllt mit Graffitis verzweifelter Gefangener, dass man des Erklärungsblattes bedarf, um die interessantesten „Wortmeldungen“ zu entziffern.

St Peter ad Vincula. N vom Schafott erhebt sich die Königliche Kapelle (Petrus in Ketten), ein seltenes Beispiel sakralen Tudor-Stils. Hier wurden die Überreste aller Enthaupteten achtlos vergraben, bis sie im 19. Jh. wieder hervorgeholt und statthaft beerdigt wurden. Zum Gottesdienst (So 9h) ist der Zugang frei, ansonsten dürfen nur Tourgruppen rein. Schließen Sie sich kurzfristig der nächsten Tour an, das wird geduldet.

Devereux Tower. Hinter St Peter liegt der nach seinem berühmtesten Gefangenen benannte nw Eckturm. Wie Raleigh war Robert Devereux ein Favorit Elisabeths I., bis er die Kardinalssünde be- und die alternde Königin hinterging. Nach kurzem Prozess wurde er 1601 wegen Hochverrats im Tower hingerichtet. Es gilt als Zeichen ihrer anhaltenden Zuneigung, dass Elisabeth ihm die Schmach einer öffentlichen Enthauptung ersparte. Neben dem Devereux Tower soll George Plantagenet, Herzog von Clarence, 1478 in einem Fass Madeira ertrunken sein.

Crown Jewels. Wer die Klunker sehen will, kommt so früh wie möglich. Seit 1994 sind sie im Erdgeschoss der Waterloo Barracks ausgestellt, um tgl. bis zu 20.000 (!) Neugierige durchschleusen zu können. Der langgestreckte neogotische Bau nördl. des White Tower hat nicht das Geringste mit dem modernen Verständnis von Baracken zu tun. Der Herzog von Wellington ließ ihn 1830 als Kaserne für 1000 Soldaten errichten.

Bevor Lloyd´s die Imperial State Crown für 42 Millionen € versicherte, hat ein Praktikant nachgezählt, dass sie mit 2868 Diamanten bestückt ist. Dazu prangen Saphire, Smaragde, Rubine und Perlen, von denen jedes Exemplar 99 afternoon teas im Ritz wert ist. Schon weil sie diesen Brocken regelmäßig auf dem Kopf balancieren muss, möchte man ungern mit der Queen tauschen. Zwischen Krone und Reichsapfel glitzert das Zepter, dessen birnenförmiger First Star of Africa es auf 530 Karat bringt.

Ceremony of the Keys. Wenn der Tower die Kulisse eines schlechten Melodrams bildet, ist das Ritual der Schlüsselübergabe (12 min) seit 700 Jahren sein burlesker Höhepunkt. Tgl. 21.53h spaziert der Kommandeur des Towers mit den yeoman warders die Water Lane hinunter und verschließt die Pforten. Dann übergibt er die Schlüssel der Garde, die sie mit einem Salut im Queen´s House bunkert, während er seine Mütze lüftet und ruft: „Gott schütze die Königin!“, worauf die Begleitmannschaft antwortet: „Amen.“ So verbringen die 150 Bewohner des Towers die Nacht unter sicherem Verschluss.

Die Leibgarde, auch beefeaters oder yeoman warders, ist ihrerseits eine Attraktion, auch weil sie noch die farbenprächtige Uniform der Tudorzeit trägt. Darunter verbergen sich meist waschechte Cockneys, die über 20 Jahre in der Royal Army gedient und – ebenso unverzichtbar – den Order of Merit erhalten haben.

Dabeisein?

Um der Schlüsselübergabe (frei) beiwohnen zu dürfen, benötigt man einen Passierschein des Kommandeurs. Er ist mind. zwei Monat im voraus mit Namen/Adressen der Antragsteller, drei möglichen Terminen und Freiumschlag (britische Briefmarken!) zu beantragen bei: Ceremony of the Keys, Queen´s House, HM Tower of London, EC3N 4AB. Von Apr-Okt sind max. sieben, von Nov-März max. 15 Zuschauer zugelassen, die sich bis 21h am West Gate einzufinden haben. Kein Einlass nach 21.30h.