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Kunst

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Maler in Chelsea

Von Holbein zur Bohême

Chelsea führte ein beschauliches dörfliches Dasein, als 1524 Sir Thomas Morus (1478-1535) ein Haus am Cheyne Walk bezog. Der Oxford-Absolvent, königliche Richter (wie sein Vater) und bedeutende Humanist gehörte seit 1504 dem Parlament an, begab sich aber dennoch/gerade darum (?) literarisch auf die Suche nach der bestmöglichen Staatsform, die 1516 in den lateinisch verfassten Roman Utopia mündete. Zunächst ein Günstling Heinrichs VIII., wurde der integre, tolerante Morus 1529 als erster Laie ins Amt des Großkanzlers berufen. Doch als der König 1534 mit Rom brach, verweigerte sein Kanzler ihm den Suprematseid, um des Papstes Autorität nicht zu verletzen. Wiederum kannte Heinrich keine Gnade: am 7. Juli 1535 wurde Morus wegen Hochverrats im Tower enthauptet und seine ganze Habe, inklusive des Chelsea-Hauses, enteignet. Eine Statue in Schwarzgold vor der Chelsea Old Church und seine Grabkapelle darin erinnern an den gläubigen Staatsmann, der 1935 vom Papst als Märtyrer heilig gesprochen wurde.

Holbein. Zuvor hatte Morus noch Zeit gefunden, als Mäzen Hans Holbein d. J. (1497-1543) auf die Beine zu helfen, der 1526 mit einer Empfehlung von Erasmus nach London gekommen war. Mit zahllosen Porträts von Königen, Höflingen und Kaufleuten beeinflusste der deutsche Gast zwei Kunststile: die englische Schule der Miniaturisten und die Porträtisten, meist holländischer Herkunft. Holbein ist also zu verdanken, dass die englische Malerei seit Heinrich VIII. eine gewisse Kontinuität aufweist.

van Dyck. 110 Jahre später begründete Anton van Dyck (1599-1641) die moderne englische Schule. Als Hofmaler Karls I. (seit 1632) prägte der Rubens-Schüler viele Zeitgenossen durch seine zarte Pinselführung, die ihn zum großen Porträtisten des Barock machte. Weil er dem Porträtierten mächtige Säulen und Draperien zur Seite stellte, wurde er in Londons High Society herumgereicht wie eine warme Butterbrezel.

Lely. Peter Lely trat 1641 seine Nachfolge an, als er kurz nach van Dycks Tod von Holland nach London übersetzte, wohin ihm bald eine Reihe ausländischer Maler folgte. Diese Generation hielt sich von Chelsea fern. Nach der Restauration unter den Stuarts schien es geboten, dem Hofe nahe zu stehen. Immerhin nutzten die meisten Höflinge Karls II. dieses Viertel weiterhin als Sommerfrische.

Blake. Im 19. Jh. errang Chelsea dann jenen Ruf, den es bis heute kultiviert: als Epizentrum schräger Vögel. Ein Beispiel dafür überlieferte William Blake (1757-1828), der visionäre Lyriker, dessen Illustrationen zu Dante und Chaucer wie Vorboten des Surrealismus wirken. Blake hatte in Chelsea eine Verabredung mit Johann Heinrich Füssli (1741-1825, seit 1779 in London), weil er dessen Bilderzyklen zu Homer, Dante, Shakespeare bewunderte:

Ich folgte dem Hausmädchen durch einen so düsteren Gang, dass er einem Angst einjagen konnte. Ich stellte mir Füssli als stattlichen Riesen vor. Nun hörte ich seine Schritte näherkommen und sah eine knochige Hand an der Tür, gefolgt von einem kleinen, ganz kleinen Mann mit bauschiger Mähne, in einen alten Schlafrock gehüllt, der mit einem Strick über dem Bauch zusammengehalten wurde. Auf dem Kopf trug er das Nähkörbchen von Frau Füssli. Da wurde mir klar, dass der Mann nicht auf der Höhe seines grandiosen Werkes war.

Rossetti. 1848 fand sich um den Italo-Engländer Dante Gabriel Rossetti (1828-82) ein Künstlergrüppchen in Chelsea zur Bruderschaft der Präraffaeliten zusammen, um den Lebens- und Malstil ihrer Zeit zu revolutionieren. Auf der Suche nach geistiger Wahrheit führten sie ein mönchisches Leben, kleideten sich in Kutten und verzichteten auf Tabak, Alkohol und Fluchen. Ihrem Weiblichkeitsideal Elizabeth Sidall, der Gefährtin ihres Chefs Rossetti, brachten sie keusche Verehrung entgegen, bis Ms. Sidall schwanger wurde und die Keuschheit in romantischen Symbolismus evaporierte. So war die hübsche Liz dafür verantwortlich, dass aus der Bruderschaft keine „Schule von Chelsea“ hervorging.

James Abbott Whistler (1834-1903) kam mit 21 aus Amerika nach Chelsea. Der Pionier des englischen Impressionismus besaß ein überschäumendes Temperament, dass jedwede Kritik ablehnte. Natürlich schoss ein Nachbar dagegen. Whistlers Studio lag hinter dem National Army Museum, in der Tite St, in deren Nummer 34 Oscar Wilde residierte, bis er in Belgravia verhaftet wurde (siehe oben). Beim Anblick von Whistlers Themse-Studien Nocturnes spottete Wilde, dass es seit den Impressionisten immer mehr Nebel über der Themse gebe.