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Primo de Rivera

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Primo de Rivera (1870-1930)

Wer ist das?

Da gerade eine nach ihm benannte Straße auftauchte, und man alle naselang auf den Namen Primo de Rivera stoßen wird, hier eine kleine Beschreibung seiner Persönlichkeit. Dies auch deswegen, weil er als Verkörperung eines bestimmten Charakertyps auch irgendwie sehr »spanisch« war und man gewisse Züge im »alten« Spanien immer wiederfinden wird, obwohl er selbst seinerzeit - für seine Klasse jedenfalls - schon einen Anachronismus darstellte.

Gestützt auf das Militär regierte er das Land als Diktator von 1923 bis zu seiner Flucht nach Paris, wo er krank und verbittert in seinen letzten Tagen zwischen Kirche und Puff hin- und herpendelte. Seine anfängliche Popularität war begründet im Zusammenbruch des vorherigen korrupten Systems, einer wirtschaftlichen Prosperität sowie dem Versprechen, die konstituierenden Cortes wiedereinzurichten. Sein Untergang hing zusammen mit der inkompetenten Handhabung der Finanzen durch Calvo Sotelo, ein weiterer Name, der häufig anzutreffen ist, sowie verschiedenen repressiven Gesetzen, Zuflucht zu Bespitzelung, der Zensur usw., womit er nach und nach jedwede Unterstützung aller relevanten Gruppen verlor. Als andalusischer Großagrarier war er untypisch für seine Klasse, da er - immer im Rahmen des Systems - versuchte, die Lage der Armen zu verbessern. Er suchte selbst Verbündete bei den Sozialisten, forderte Largo Caballero, den Sekretär der Sozialistischen Gewerkschaft UGT, zur Mitarbeit in der Regierung auf und richtete obligatorische, paritätisch besetzte Schlichtungsausschüsse ein, die im Falle eines Streiks die Löhne festlegten - sehr zum Ärger von Grundeigentümern und Fabrikbesitzern. Selbst als General fiel er aus der Rolle. In quasi pazifistischer Manier leitete er den Rückzug Spaniens aus Marokko ein und in seine Herrschaft fiel nur eine Exekution.

Diese Milde hatte ihn allerdings einige Jahre zuvor nicht daran gehindert, in Spanisch-Marokko den General Margallo eigenhändig mit einem Revolver umzulegen, weil dieser die Gewehre, mit denen die Mauren spanische Soldaten beschossen, an jene verkungelt hatte. Cieges Aparicio, 1936 republikanischer Gouverneur von Avila, der diese Geschichte bekanntgemacht hatte, wurde daraufhin gleich als einer der ersten von den Francotruppen erschossen. Charakterlich war Primo de Rivera impulsiv und inkonsequent, einfältig, gutmütig, völlig undiszipliniert, ein herausgeputzter Kaffeehauspolitiker, der sich zur Rettung des Landes berufen fühlte, ein grenzenloser Optimist mit einem übermäßigen Vertrauen in sich selbst, ein Prahlhans und Schwätzer. So hielt er beispielsweise am Grab eines bei einem Unfall umgekommenen Wachpostens eine zweistündige Grabrede. Zu allen Themen hatte er sofort seine Stammtischmeinungen parat, was ihm erlaubte, immer schnelle Entschlüsse zu fassen. Dies führte allerdings auch dazu, dass er spontan erlassene Dekrete oft am gleichen Tag zurückzog. Einen seiner widersinnigsten Erlasse unterzeichnete er übrigens im Suff. Anläßlich einer Finanzjongliererei im Staatshaushalt, durch den sich das sonst übliche Defizit auflöste, soll er erfreut kundgetan haben, dass er zur Feier alle Matratzen, welche die Armen in den Pfandleihen versetzt hätten, zurückkaufen wolle. Nachts hockte er bei Diskussionen bis in die frühen Morgenstunden im Café, schlief bis acht oder neun Uhr, arbeitete ein wenig, um sich nach dem Mittagessen mit Schlafanzug und Nachtmütze zu bewaffnen und dann bis fünf Uhr in der Falle zu verschwinden.

Periodisch tauchte er mit ein paar Freunden und Frauen für einige Tage unter - unerreichbar für jedermann. Die Truppe schloß sich in einem Landhaus ein, stellte einfach das Telefon ab und lebte sich aus. Derartig erquickt, nahm er dann mit frischer Energie die Regierungsgeschäfte wieder auf. Als Diabetiker war ihm strenge Diät verordnet, die er wegen seiner Freßsucht natürlich nie einhielt. Hatte man glücklich alles Eßbare aus seiner Nähe entfernt, so stahl er sich nachts in die Küche hinunter, um die Reste der Mahlzeiten der Dienstboten zu vertilgen. Was Kleidung anbetraf, so verachtetet er jeden unnötigen Aufwand, trug die billigsten Anzüge und ließ sie bei wachsender Fettleibigkeit eher ändern, als neue zu kaufen. Seine Denkfeindlichkeit brachte ihn in Gegensatz zu den Intellektuellen und ließ ihn Unterstützung bei der Kirche suchen. Diese bildet in Spanien noch aus Zeiten der Inquisition eine derart extreme Institution, dass keine mit ihr paktierende Regierung hoffen kann, das Land wirklich zu regieren. De Gaulle behauptete einmal über die Franzosen, dass ein Volk, das über sechshundert Käsesorten kenne, nicht zu regieren sei. Ähnliches gilt für die Spanier. Auch die Regierung eines Landes, dessen halbe Bevölkerung den ganzen Tag im Kaffeehaus die Regierung bekrittelt, kann Fehler nicht lange überleben.