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Schauspiel

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Englische Schauspielkunst

Forderungen an die Schauspieler

Die Melodie der Sprache

Die englische Komödie gibt ein treues, oft etwas überladenes Bild des häuslichen und geselligen Lebens, der Fehler, der Tugenden, der Lächerlichkeiten, die man in den verschiedenen Ständen trifft. Die Eigenheiten der verschiedenen Provinzen, der Schotten und Iren, besonders ihrer Dialekte, erhöhen das Komische derselben und werden mit vieler Treue dargestellt.

Charakter-Komödien, wie die Franzosen deren meisterhafte besitzen, in denen sich alles um eine Rolle dreht, die dadurch bis ins kleinste Detail herausgehoben wird, kennt der Engländer nicht. Dafür wimmeln alle Stücke von Personen, die uns als Karikaturen erscheinen, die es aber bei diesem originellen Volke nicht sind. Nur die stärksten Züge ein wenig verflacht und gemildert, und man trifft überall im geselligen Leben die Urbilder dazu an.

Selbst bei den besseren der gezeichneten Karikaturen, an denen wir uns auch zuweilen in Deutschland ergötzen, ist dieses schon der Fall; Ähnlichkeit liegt immer zugrunde, und bei weitem nicht so mit fremden Zügen überladen, als man im Auslande wohl glaubt.

So streng man sonst in England in allen Zirkeln, die aus Männern und Frauen gemischt sind, auf Dezenz hält, so nachsichtig ist man in dieser Hinsicht auf dem Theater. Frauen, die im geselligen Leben jedes nur von fern ihr Zartgefühl beleidigende Wort empört, sehen Szenen an, von denen jede Französin sich zürnend wegwenden würde und die gewiß das Pariser Publikum mit dem entschiedensten Unwillen aufnähme.

Der englische Tragiker spielt natürlicher als der französische, feuriger als der deutsche. Zu treu kopiert er die Natur und überschreitet oft die Grenze des Schönen. Der wütendste Ausdruck des Leidens, selbst der laute Schrei körperlichen Schmerzes, alle Verzerrungen des Wahnsinns, konvulsivisches Zucken des Sterbenden, nichts wird dem Publikum erlassen, welches in diesem allem die höchste Kunst zu sehen glaubt und mit gesträubtem Haare dann am lautesten in Beifallsbezeugungen ausbricht, wenn es vor Schrecken schaudert.

Die Größte des Schauspielhauses zwingt die Schauspieler, überlaut zu sprechen, denn der im entferntesten Winkel sitzende Matrose will für seine Sixpence so gut alles hören und vernehmen als die vornehmste Lady in der ersten Loge. Deutliche Aussprache ist demnach die erste Forderung, welche das englische Publikum an den Schauspieler macht. Dieser muß daher mit der äußersten Anstrengung jedes Wort, jede Silbe abstoßend betonen. Bei den mittelmäßigen Künstlern bringt dies eine sehr unangenehme, oft lächerliche Wirkung hervor; nur die besten von ihnen wissen mit unglaublicher Mühe diese Schwierigkeit zu bekämpfen.

Aber auch die besseren Schauspieler heben gewissen Tiraden hervor, welche auf Patriotismus, Freiheit und Nationalität Bezug haben, und von denen sie voraus wissen, dass das Publikum sie jedes Mal beklatscht. Diese Stellen werden ganz an dasselbe gerichtet, und die Mitspielenden während einer solchen Hauptaktion gar nicht beachtet; ihre Zeit tritt später wieder ein. Periodenweise deklamiert der Schauspieler seine Rede ab. Zwischen jedem Satze wird eine hinlängliche Pause für den Beifall gelassen, dann weitergesprochen, dann wieder geschwiegen, so dass das Ganze sich wie ein Melodram ausnimmt, zu welchem das Publikum das Akkompagnement liefert.

Die englische Deklamation hat ohnehin einen eigenen singenden Ton, ohne große Modulation, etwas dem Fremden affektiert scheinendes Pathetisches, das sich nicht beschreiben läßt; bei etwas Aufmerksamkeit aber findet man ihn im gemeinen Leben wieder, bei jedem durch Leidenschaft gehobenen Gespräch. Es ist die der englischen Sprache eigene Melodie; jede Sprache hat die ihrige.

Im Komischen, besonders im Possenspiel, übertreffen die Engländer vielleicht alle anderen Nationen. Schon der bekannte, angeborene Ernst dieses Volkes macht seine seltene Lustigkeit umso ergötzlicher. Die Späße sind nicht immer die feinsten, oft ein wenig breit und plump, aber sie reizen unwiderstehlich zum Lachen; einige Schauspieler, zum Beispiel Munden(22), brauchen nur sich zu zeigen, und das Haus erbebt bis in seinen tiefsten Grund von der rauschendsten, lautesten Freude. Viel will dies sagen bei einer Nation, welche das Lachen für unanständig hält und dem Gebildeten höchstens nur ein Lächeln erlaubt. Hier siegt die Natur, unterstützt von der Kunst, und Regel und Zwang sind vergessen.

Opern werden selten gegeben, ein englisches Rezitativ ist undenkbar, und der Engländer findet die Abwechslung von Rede und Gesang unnatürlich. Das Volk liebt überhaupt die Musik wenig. Doch spielt man zuweilen als Nachspiel irgend eine kleine Oper, und es fehlt nicht an guten Sängern und Sängerinnen, um sie für ein englisches Ohr ganz angenehm aufzuführen.

[Fußnote(22): Joseph Munden, beliebter Komiker, von zeitgenössischen Kritikern jedoch als Grimassenschneider betitelt.]