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Kultur

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Europäer im Vergleich

Voreingenommenheit für Fremdes

Das Theater

ÖFFENTLICHE VERGNÜGUNGEN*
Theater*

Nicht allein an der Sprache erkennt man die verschiedenen Nationen, welche Europa bewohnen, auch am Gange, am Tone, an der Gebärde. Jede derselben unterscheidet sich von der anderen durch schwer zu bezeichnende, aber deshalb nicht weniger sichtbare und untrügliche Kennzeichen.

Auch auf die bildende Kunst hat dieser angeborenen und angeeignete Unterschied der Nationen großen Einfluß. Kein Niederländer malt wie ein Italiener, kein Franzose wie beide; alle müssen ihrer Nationalität treu bleiben. Die Gestalten, die Gebärden, der Himmel, die Beleuchtung, die wir von Jugend auf sehen, prägen sich uns mit unauslöschlichen Zügen ein. Wir können nur wiedergeben, was wir in uns tragen, und der Unterschied der Schulen liegt mehr an dem Himmel, unter dem sie entstanden, als an den Meistern, die man für ihre Stifter erkennt.

Bei der theatralischen Kunst blickt diese Nationalität noch deutlicher hervor, und wäre es möglich, einem Schauspiel zuzusehen, ohne dass man ein Wort davon hörte, so müßte doch der kundige Beobachter gleich entscheiden können, ob er ein englisches, französisches oder deutsches Theater vor sich sähe. Alle drei können in ihrer Art vortrefflich sein und werden dennoch dem Fremden mißfallen. Denn dieser, mit der Individualität der Nationen noch nicht bekannt genug, will nach seinem eigenen, von hause mitgebrachten Maßstabe messen. Nur nach und nach wird er entdecken, dass das, was ihm zuerst widerwärtig, unnatürlich, übertrieben erschien, dennoch treu, wahr und bewundernswürdig ist.

Betrachtet man eine theatralische Vorstellung als ein vollendetes, abgerundetes Ganze, so haben wir Deutschen vor den anderen Nationen keinen Vorzug, so viel vortreffliche einzelne Künstler wir auch aufzuweisen haben. Das Weimarische Hoftheater, begünstigt durch ein Zusammentreffen vieler seltener, außerordentlicher Umstände, war vielleicht das einzige in Deutschland, auf welchem man noch zuweilen einzelne Darstellungen einiger Meisterwerke der vorzüglichsten Dichter erblickte, da sich, durch das Zusammenpassen jedes Teils zum Ganzen, der Vollkommenheit näherten.

Dass der deutsche Schauspieler allen alles sein muß, ist ein Unglück; dadurch wird er verhindert, sein Talent auszubilden für das seiner Persönlichkeit am besten zusagende Fach. In Paris und London ist das anders. Jeder widmet sich den Rollen, zu welchen seine Individualität ihn ruft. Mit dem Alter nimmt man es dort weit weniger genau als bei uns. Gerechter als wir, bedenkt man: wieviel dazu gehört, eine hohe Stufe in irgend einer Kunst zu erringen. Kein vollendeter Künstler ward geboren. Jahre voll Anstrengung und Studium gehören dazu, um das große Talent auszubilden; oft ist die Jugend entflohen, wenn jenes erst in vollem Glanze strahlt. In Frankreich und England erkennt man dies und läßt sich lieber willig durch Schminke, Kleidung, Beleuchtung täuschen, als dass man den höchsten Genuß, den die Kunst gewähren kann, verschmähte, weil der Künstler einige Jahre zuviel zählt.

Der vorzügliche deutsche Schauspieler ist in Gebärde, Ton, Deklamation und Stellung bei weitem der gemäßigste, weil Maßhalten und Ernst in der Natur des Deutschen liegen. Wir erscheinen unseren Nachbarn kalt, aus demselben Grunde, aus welchem sie uns übertrieben erscheinen. Ebenso wird der westfälische Bauer gewiß glauben, der Provenzale oder Gascogner wolle ihn totschlagen, wenn jener ihm bloß nach seiner Landessitte einen guten Morgen bietet.

Nennt man ein nach festgesetzten Regeln genau gebildetes Ganzes ein vollendetes Kunstwerk, so hat die französische Tragödie vor allen anderen den Vorzug. Streng abgemessen sind Zeit und Ort. Jeder Vers, jedes Wort findet im Parterre Richter, die keinen Verstoß gegen einmal festgesetzte Regeln hingehen lassen. Gesetze des sogenannten Wohlstandes, wie keine andere Nation sie kennt, binden den Dichter wie den Schauspieler. Beide dürfen sich nur in scharf gezogenen Schranken bewegen. Das auf diese Weise mühevoll hervorgebrachte Kunstwerk blendet, setzt in Erstaunen, erregt Bewunderung; aber wir bleiben ohne Teilnahme dabei, und ein Frösteln, das wir ungern Langeweile nennen möchten, bemächtigt sich unser. Die Stellungen der berühmtesten Schauspieler, schön und kunstreich, wie sie sind, erinnern doch immer an jene akademischen Figuren, die wir auch auf den französischen Gemälden finden, und von denen es auch ihren besten Meistern nicht gelingt, sich ganz zu befreien. Der Geist der Tragödie ist nicht der Geist der Nation, die von jeher alles leicht nahm, was das Schicksal auch immer über Sterbliche verhängen mag. Die Sprache selbst, ihr Mangel an Tonfall, widerstrebt der höheren Poesie, widerstrebt jeder Deklamation. Alles wird bloß durch Kunst hervorgebracht, es ist, als hörte man einen auf das kunstreichste gebildeten Sänger, dem aber die Natur eine sonore Stimme versagte. In der höheren Komödie hingegen steht der Franzose auf der ersten Stufe. Da ist Geist, Leben, Witz, Laune und der fein gebildete Konversationston zu treffen, welcher ihn auch im gemeinen Leben vor allen Nationen auszeichnet.

Das englische Theater steht auf dem ganz entgegengesetzten Punkte. Keine Regel beschränkt den Dichter, keine den Schauspieler. Ungebunden überlassen beide sich ihrem Genius. Alles steht dem Dichter zu Gebot, Verse und Prosa, ewiger Wechsel der Szene, Ausdehnung der Zeit ins Unendliche, alle möglichen Motive. Wie schwer es sei, von dieser unbeschränkten Gewalt den rechten Gebrauch zu machen, lehrt der Mangel an guten neuen Tragödien; nur Shakespeares Riesengeist konnte sie zum Rechten anwenden; noch immer steht er allein da, das Volk verehrt ihn als seinen einzigen Dichter und drängt sich unermüdet zu seinen Meisterwerken.