Alter Glanz
Das Herz des Grössten Reiches aller Zeiten
Nichts Erinnert Mehr an vergangene Tage des Ruhms
Das Ruinenfeld der alten, glanzvollen, geheimnisumwitterten Hauptstadt ist von Steppengrässern vollständig bedeckt. Doch vor 600 Jahren schlug hier das Herz des mongolischen Weltreiches: Karakorum, auf mongolisch »Schwarzes Geröll« oder »Schwarzer Stein«.
Gegründet auf Befehl Dschingis Khans, wurde die Stadt während der Herrschaft Ögödai Khan für vierzig Jahre zur tatsächlichen Schaltzentrale des Reiches. Mit ihrem Bau wurde noch zu Lebzeiten Dschingis Khans im Jahre 1220 begonnen. Doch erst 1236, rund neun Jahre nach seinem Tode, war der Aufbau im wesentlichen abgeschlossen. Als erster Regent bezog sein dritter Sohn und Nachfolger Ögödai den Palast und regierte hier als »Herrscher aller Herrscher«. Die Stadt war in Form eines Quadrates von vier mal vier Kilometern errichtet worden und von einer relativ niedrigen Mauer umgeben.
Pracht und Prunk
Karakorum war im 13. Jh. eine der größten und bedeutendsten Städte der Erde. Es besaß Palastanlagen, Klöster, Kirchen, Manufakturen, riesige Lager, war Sammelplatz für Beute und Tribute der unterworfenen Völker. Hier thronte der Großkhan, zu dem der Papst, der französische König, asiatische, arabische und europäische Fürsten Gesandtschaften schickten. Hier wohnten Menschen aus dem gesamten Herrschaftsbereich der Mongolen: moslemische Händler, zentralasiatische Gelehrte, christliche Mönche, chinesische Handwerker, mongolische Soldaten, europäische Kriegsgefangene, persische Handwerker.
Der Palast des Khans befand sich im Südwesten der Stadt. Er ruhte auf 64 großen Säulen und war mit farbigen Tonziegeln gedeckt. Der zentrale Teil der Stadt bestand aus Straßenzügen aus Ziegelsteinen.
Unter den »Besuchern« Karakorums befanden sich auch der venezianische Kaufmann Marco Polo und der Franziskanerpater Wilhelm von Rubruk. Ihre Schilderungen brachten erstmals authentische Kunde über das Leben der Mongolen-Khane nach Europa. Beide heben die religiöse Toleranz am Hofe hervor für das besessen-christliche Europa damals unvorstellbar. In Karakorum konnten Buddhisten, Moslems und Christen ohne Einschränkung ihre Religion ausüben.
Rubruk
Wilhelm von Rubruk, der vom französischen König als Gesandter nach Karakorum geschickt worden war und dort von 1253-1255 wohnte, beschrieb die Stadt ausführlich:
»Zwei Stadtviertel befinden sich daselbst. Einmal das Viertel der Sarazenen, wo die Märkte stattfinden und wo viele Kaufleute zusammenströmen wegen des Hofes, der sich immer nahe dabei aufhält, und wegen der Menge der Gesandten. Zum anderen das Viertel der Chinesen, die sämtlich Handwerker sind. Außerhalb dieser Viertel liegen die großen Häuser, die den Schreibern vom Hof gehören. Es gibt dort zwölf Götzentempel der verschiedenen Völker, zwei Moscheen, in denen das Gesetz von Mohammed verkündet wird, und eine christliche Kirche am äußersten Ende der Stadt.
Das Stadtgebiet ist von einer Lehmmauer umgeben, und es hat vier Eingangstore. Am Osttor wird Hirse verkauft und andere Kornfrucht, die freilich nur selten hier eingeführt wird. Am Westeingang werden Schafe und Ziegen verkauft, am Südeingang Ochsen und Wagen und am Nordeingang Pferde.«
Der Untergang
Karakorum war nur für kurze Zeit, von 1236 bis 1260, politischer und kultureller Mittelpunkt des Mongolenreiches, das sich auf seinem Höhepunkt vom Schwarzen Meer bis zum Stillen Ozean erstreckte. Bereits 1260 verlegte Khubilai Khan die Residenz nach Peking. Karakorum wurde zwar nach dem Sturz der mongolischen Yuan-Dynastie durch das chinesische Volk im Jahre 1368 wieder Hauptstadt der Mongolen. Ihr Reich zerfiel danach aber immer weiter und besaß bald keinerlei Macht mehr. Im Jahre 1380 drang ein chinesisches Heer in die mongolischen Stammlande, eroberte die Residenzstadt und machte sie vollständig dem Erdboden gleich. Im Verlauf der nächsten 200 Jahre wüteten noch mehrmals andere Heere, so dass von Karakorum heute fast nichts mehr geblieben ist. An die einst mächtige, unfaßbar reiche Stadt erinnern heute nur noch einige Steinfiguren und Überbleibsel von Grundmauern.
Die Rekonstruktion
Bis heute ist nicht genau bekannt, wie die Stadt im Detail aussah und wie die Straßenzüge verliefen. Unter der relativ dichten Decke der Steppengräser, die von Rinder-, Schaf- und Ziegenherden des nahen Gutes Charchorin beweidet werden, stößt man bei Grabungen bereits in wenigen Zentimetern Tiefe auf Trümmer der zerstörten Stadt, insbesondere gebrannte Ziegeln und glasierte Tonscherben von Gefäßen, wobei die Farben grün, blau und hellgrau dominieren. An einigen Stellen erheben sich von Ausgrabungen herrührende Hügel und Schutthalden. Die Arbeiten zur Freilegung von Grundmauern, Straßenzügen und Grabstätten sind seit 1977 stark intensiviert worden.