Unterricht

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Schule in Südamerika

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …

Nicht alles bitter in Deutschland

Genug der Vorrede, da sitzt er also in der letzten Reihe, der Wanderer, stellt sich artig bei den Viertklässlern vor, und fühlt sich auf der Stelle wohl (was definitiv auch an der Lehrerin gelegen hat) und schaut sich im Klassenzimmer um: Bilder, bunte, verrückte, andere, fast vergessene, ohne Schönziel, ohne Kunstdekor, einfach Bilder, Tierposter, dazu die verschriftlichten Vorsätze fürs neue Schuljahr (ich will mehr lernen und mich mehr konzentrieren) und die Sorgen der Schulkinder (ich habe Angst, dass ich alles vergessen habe). Zum guten Morgen singen alle, ich sitze in der Englisch-Stunde und fühl mich geschmeichelt, weil ich denk, die singen mir einen, tun sie aber immer, besser als beten denk ich, und guck hinter mir an die Wand, wo ich den Zettel mit den Wünschen fürs neue Schuljahr finde: Keine Hausaufgaben mehr, mehr Spiele, keine Tests mehr, Mädchen rauswerfen ...

Also Jungens, werdet ihr erst mal drei Jahre älter, dann beißt ihr euch aber nicht nur in den Allerwertesten für diesen desolaten Vorschlag, aber die anderen Ideen kann ich nachvollziehen, grundsätzlich, ohne dabei grundsätzlich zu sein.

Und kommt mir da draußen jetzt nicht mit "die müssen aber Ordnung und Disziplin lernen", nee, deswegen schreib ich das hier, damit die endlich mal ihre 14 Kilogramm aus dem Rucksack nehmen. Endlich mal diese schweren Bücher aus der Tasche! Ich mag Bücher und find´s prinzipiell sinnvoll, damit und dadurch zu lernen, aber das muss doch mal ein Ende haben. Ihr habt doch schon so viel verstanden, wisst wie man Feuer macht und wo der Blitz herkommt, könnt ihn sogar ableiten und aus Eis Skulpturen mit Motorsägen schneiden und dann kommt ihr nicht mal auf die so naheliegende Idee, euren Kindern die Steine vom Rücken zu nehmen, sie nicht um 7:30 Uhr mit Augenrändern in die erste Reihe zu schicken!

Und dennoch, trotz unnatürlichster Vorzeichen, trotz pädagogischer Fehlkonstruktion, was geht da ab, was für ein gegenwärtiges Gewahrsein ist das?!! Mensch, wo kommst du her, und was bist du für ein Wunder! Dankbar den abgenutzten Schultisch streichelnd, nur diesen einen Tag da gewesen zu sein, wieder zu sterben für den Augenblick.

Wenn die Lehrer-Fragen noch still im Raum stehen will, zeigen sie schon auf wie Feuerwehrmänner kurz vor dem wichtigsten Einsatz, als ginge es um ihr Leben, betteln um dranzukommen, und wie ein Erdbeben bricht alles zusammen, wenn du dann tatsächlich drankommst und dir keine Antwort einfällt, die Hände vor den Mund gehalten, Hilfe suchend in der den Kindern noch bewussten Unendlichkeit. Und dann das, der Weltzusammenbruch: Abschreiben von der Tafel, und plötzlich reicht der Platz nicht mehr im Heft, Frau Lehrerin, Frau Lehrerin, der Platz reicht nicht mehr, ich bin verloren ...

Stundengong, Pausenhof, Rasen, Spielflächen, ja gut und gerne hier unten auch ein paar Pälmchen neben der Tischtennisplatte, und dieser Bewegungsdrang, dieses Sich-Einlassen, dieses weggeblasene Ego, diese aufgerichteten Körper, ich weiß, ihr glaubt das nicht und traut mir das nicht zu, aber ihr kriegt´s jetzt doppelt und dreifach, sogar mit Zitatstelle: Matthäus 18,3 - "Und werdet ihr nicht umkehren und werden wie die Kinder, so werdet ihr niemals Gottes Himmelreich finden" Aus den Socken gehaunen, was? Bibelzitat, und dann auch noch von dem schnoddrigen Ober-Streng-Matthäus.

War so schön mit den Kindern und sie gaben mir das, was ich bin und heilten, was ich werde, und lachten, und manche waren so glücklich, als ich auf ihre Frage hin antwortete, dass meine Lieblinkschokolade die weiße wäre. Und die Vollmilchfraktion war ganz traurig. Für diesen einen Moment. Kinder!!!

Ach Matthäus, wenn du doch mehr solcher Sprüche parat gehabt hättest, was hätte dann aus der Welt werden können, so aber ...

Oberstufe, Fragebogen zum interkulturellen Austausch, Ecuadorianer in Deutschland, die Schüler hatten alle schon einen Aufenthalt in Germanien hinter sich und wurden dazu befragt.

Schön, wenn Inhalte so transparent banal transportiert werden können: Alle, ausnahmslos alle, glaubten, bevor sie nach Deutschland reisten, dass das Volk der Deutschen ordentlich, streng und pünktlich ist. Nach der Reise sagten dann auch immerhin fast alle, dass die Deutschen ja in Wahrheit ganz nett sind.

Was toll in Deutschland sei, darauf antworteten sie größtenteils, Unabhängigkeit (wenn ihr von den Alkohol-Single-Leichen mit Vox-Gewichse wüsstest), Döner (!), Fahrrad fahren (!) und die alten Städte. Negativ fanden sie dann eben doch bisweilen die oben zitierte Ordnung, die Merkel und die Pünktlichkeit, einer brachte es sogar semifuturistisch auf den Punkt: "Mensch, wir sind doch nicht Roboter"

Was für sie gänzlich neu dort war, fand zur Antwort, dass jeder kochen kann, wenn er Hunger hat, und dass Deutschland nicht nur aus Bayern besteht.

Ein paar Schmankerl in vivo: "Man denkt, dass sie streng sind, aber sie lachen und sind nett und freundlich. Sie helfen Dir immer, wenn du Probleme hast" > Stimmt wahrscheinlich, auch wenn wir´s gar nicht mehr merken, zum Heulen (schön), oder?;
"Blöd sind die differenzierten Jugendgruppen (Rappers, Rockers, Snobs), zum Beispiel ein Rapper könnte nie ein Freund vom Rocker sein" > stimmt auch, aber zum Heulen unschön, oder?

"Manche Leute sind ein bisschen komisch mit Ausländern" > uiwei, das stimmt, natürlich sofort zum Heulen, weil das ganz schön schlimm stimmt, aber nu nicht gleich in Nazi-Despression verfallen, es geht auch anders;

"Deutschland ist nicht nur das strenge, kalte Land, das alle denken" > Nein, das ist es nicht, und jetzt geh raus, und staun dir die Primeln an, den zartesten aller Küsse, den dir der Buchsbaum gerade offenbart, die rosa Kirschblüten, die deine Nase befriedigen und das klare Wasser deines Flusses, und sieh dich selbst, du hast eine Stakkato-Sprache, die so hart ist wie ein Pflaumenkern, eine Hautfarbe, die so creme-langweilig ist wie trockenes Knäckebrot, einen Winter, der wenn du Pech hast mehr als sechs Monate dauert und eine Körperbeweglichkeit, die von jedem Elefanten locker zu schlagen ist (außer ihr New-Wellness-Fitness-Yoga-Trendsetter natürlich), und wennde dann die Kirschen riechst und im Juni deinen Mund damit so rot machst, dass dein Herz vor Glück blutet, dann mach die Augen zu und spür wie sie sich für dich dreht, Pachamama auch im Harz, alles ist was besonderes!

Kinderwinkespringgrüße