Reiseheimat

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Warum zieht es uns in die Ferne?

Imaginatives und persönliches Reisen

Sinn des Reisens - Suche nach dem Ich

Das Reisen und der Sinn, die Heimat und der Grund, das Bett und der Schlaf, was passiert wenn wir uns an fremde Orte bewegen, warum tun wir es und wo werden wir lachend landen?

Große philosophische Fragen, gekleidet in fachspezifische Diktate, sind nicht des Wanderers Welt, nur eine zarte Annäherung, so wie das Meer vom elften Stock des Hotelzimmers aus zu betrachten, wie es brandet, bricht, prescht, fällt und alles unter sich begräbt.

Was sind wir nicht alles geritten und geschwommen, gefahren und geflogen, am Abgrund gestanden und auf Klodeckeln gesessen, stehen am Abend wieder auf zwei Beinen und wollen morgen schon wieder weiter ziehen, gemäß der alten Zigeuner-Grundlage, dass alles, was träge an seinem Ort bleibt, zu zähem Fleisch wird.

Zwei Arten des Reisens sind möglich, die persönliche und die imaginative, die uns durch fremder Hand so nahe gebracht werden kann, dass wir abheben und mitsegeln.

Mit Hermann Melville und offenen Augen durch die atlantischen Gewässer auf der Suche nach Riesenwalen, in Kojen übernachtet, Segel gesetzt, Decks geschrubbt und gelernt was Wanten, Rahen und Topps sind.

Mit Livingstone durch den Süden Afrikas und seine Wildheit geschossen, weder vor Negern (damals noch kein Unwort, heute natürlich voll krass Unwort) noch vor Löwen Angst gehabt, Flusspferde, Zebras, Kannibalen im Blick, spürbar atemlos verschlungen.

Mit Scott zum Südpol, verhungert, weil nur zweiter Sieger, den Pinguinen keinen Blick gewürdigt, nur schnell zum Ziel, begraben im ewigen Eis, nicht mehr gewesen, als fanatischer Wissenschaftler von Tieren gefressen.

Mit Fräulein Smilla nach Grönland zur Investigation hundsgemeiner Geschäftsgauner, gelernt, was nur die Inuit können, regungslos dastehen, ohne Atem, ohne Zucken.

Mit dem großartigen norwegischen Schriftsteller Olaf Jensen in die Sahara gefahren, mit Ratten und orientalischen Schönheiten geschlafen, die Hitze, die Glut und die Staubleere eingeatmet.

Mit dem unbekannten Autor durch die Steppe Mongoliens geritten, scharfen Reiswein getrunken und versucht in den Augen der besoffenen Asiaten Wahrheit zu entdecken, sie in der Leere beinahe gefunden.

Und freiwillig mit Heine nach Frankreich, die größte aller Fluchten, genau so wie die mit Hesse in Italien.

Ganz tief unter der Erde mit Jules Verne gewesen, in isländische Vulkane eingestiegen und Abenteuer mit dinosaurierähnlichen Unterweltriesen erlebt und ziemlich sicher, dazu mit diesem Blick aus Überlegen- und Kühnheit, selbst da gewesen zu sein.

Und Marco Polo, versteht sich von selbst, quer über die Kontinente, und wenn´s ganz dicke kam, dann mit Tim und Struppi zum Mond und mit R2D2 und C3PU zur Andromeda.

Alles mitgemacht, alles sehnlichst genossen, weit weg katapultiert ins süße Unbekannte, sogar den schwerlich zu begreifenden Reisebericht Patrick Leigh Fermors "Zwischen Wäldern und Wasser" geschätzt, eine Fußreise-Berichtserstattung von Amsterdam nach Konstantinopel, an Rhein und Donau entlang. Hört sich so eigentlich nicht sonderlich spektakulärer an, als all die anderen Autorenstorys, hätte er dass nicht in Deutschland "backpackend" Ende der 30er Jahre als Engländer in Nazi-Welten getan. Ein Manifest der Hoffnung, das Verständnis, die Motivation, der Hochgesang, warum in diesem Moment hunderte von Reisenden nach Iran, Irak, Burma oder Nordkorea "machen".

Und warum?

Weil sie SICH suchen, so einfach und so abgedroschen es klingen mag, aber Samadhi-Tanks und LSD können das genau so wenig besser beschreiben als ein gutes Essen mit den Liebsten. Sie suchen SICH, nicht mehr und nicht weniger, und irgendwann kommt der Tag, vielleicht auf der einsamen Insel, vielleicht aber auch auf der Londoner Tower Bridge oder in Mutters Garten, da haste das gefunden, was du Heimat nennen tust, und weißt, es ist nur in Dir, und dann ziehste weiter, nicht weil du weiterhin Heimat suchst, sondern - wie schrieb der Falke mit den ruhigen Augen neulich so schön in den klaren Himmel - weil wir Reisende ins Unbekannte sind, Navigierende auf dem großen Meer der Unendlichkeit, halten wir laufend Stand und bewegen uns fest verwurzelt, ein magisches Unterfangen ...