Lesen

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Backpacker-Bücher

Bibliophile y los Libros

Leseratten und -rätteriche, Wandererwahnsinns letzte Stunden werden sandsäuberlich gezählt, die Abschlussküsse, die warmherzige Vorfreude auf Haarschnitt und lecker Gemüseessen bei Doc Roc, auf großen Bär und Kassiopeia schwirren gefühlvoll durch den Büchersaal und die Abflughalle.

An dieser Stelle hätte nun gerne die berühmte Rubirk "Briefe an die Redaktion" Teil III gestanden, doch der Wanderer hat es bereits selbsteinsichtig erkannt, die literarischen, teilweise als schweres Vollkornbrot gebackenen Essays sind keine leicht zu verdauende Mail-Müsli-Kost, sondern harte Steinbrocken, die gerne schnell nach unten gescrollt werden, die Augen unverständlich zu Kreisen drehend, das "Reply"-Drücken wird zum Schwachpunkt.

Die Kunst der behutsamen Verführung, den nervenaufreibenden Reizfaser-Wettbewerb samt Reizwäsche habe ich nicht gewonnen. Anstatt mich Negligé-brüstig samtweich und ansatzweise zu präsentieren, bin ich mit offenem Visier und splitterfasernackt durch die Alleen geschlendert und habe mich öffentlich prostituiert, mit der Masse eines Rubens-Weibes den zarten Flaum der Erotik kraftvoll ausgelöscht.

So ist es nicht verwunderlich, dass der ein oder andere diese Zeilen erst zum nächsten Weihnachtsfest lesen wird, Antworten vielleicht in vielen Lichtjahren wie verlorene Liebesbriefe auftauchen und abschicken wird.

Soll es so sein, die Reiseberichts-Redaktion freut sich auch posthum über Anregungen und Aufregungen.

Da auch Reiseberichte auf Dauer darmanregend sein können, alternative Lese-Vorschläge, die aktiv während der Reise begutachtet wurden.

Dabei kam das alte Hostel-Prinzip des Büchertausches zum Tragen, man starte als packender Backer mit einem Buch, lese es aus und tausche es dann in den entsprechenden Regalen der jugendlichen Unterkünfte gegen ein Neues.

Bitte nicht erschrecken, die Anzahl der Bücher hängt auch damit zusammen, dass die besonders schlechten besonders schnell durchgescrollt wurden ...

Horring´s Topptipps

J.W. Goethe - Goetz von Berlichingen

Jede Reise sollte mit Klassik begonnen werden, weil die Klassik für die nächste Zeit erdrutschartig hinter der roten Sonne verschwindet. Start also mit ganz klassischer Klassik, in diesem Fall mit starken Edelherren, fiesen Weicheiern, hübschen Holden und tragischem Ende. Die Stelle mit dem Leck mich am ... ist aber enttäuschend. Was soll´s, ist ja immerhin Dichterfürst Goethe, deshalb mindestens ne gute 2.

W. Shakespeare - Wie es euch gefällt

Schon wieder Klassik, diesmal aber verhasste, zumindest seit Englisch-Leistungskurs Originalschrift-Quälereien.

Wurd aber ne echte Überraschung, geht in deutscher Sprache etwas lockerer über die Wasser und der Inhalt begeistert letztlich damit, dass es ein klassisches Stück ist, bei dem am Ende aber niemand stirbt, alles sind happy und trotzdem nicht so langweilig wie in jedem Hollywoodfilm seit 90 Jahren. Dazu äußerst aparte und scharfsinnige Ironie für das 17. Jahrhundert, Word up: "Jacues: Ei, es ist doch hübsch, traurig zu sein und nichts zu sagen. Rosalinde: Ei, so ist es auch hübsch, ein Türpfosten zu sein" Echt pfiffig die Rosalinde, dazu noch die ganze Zeit als Mann verkleidet durch magische englische Wälder gehuscht, Willi gewinnt hier, 2+ oder besser.

Eduard Mörike – Novellen

Bleiben wir bei altem Gesabbel. Mörike lebte und wirkte zur Zeit des Biedermeiers und ist dementsprechend ein hervorstechender Vertreter desselben, dazu noch schwäbisch fromm und anständig, man denke sich das Weitere. Dennoch: Der Mann beherrscht schließlich das Deutsch-Prosaische und das ist fein, aber an Türpfosten kommt das ach so frömmlich nicht ran, 3+.

Dan Brown – Illuminati

Normalerweise kein Freund solcher Dick-Buch-Thriller, wenn einem aber die Tauschbörse nun mal das anbietet, na gut, dann probiert man´s halt mal aus ... Puh, der erste Brown war wirklich ein ekstatisch-orgastischer Oberhammer. Nächte in Peru um Ohren und Augen geschlagen, schlecht geträumt, viel gelernt, und vom kombinationsreichen Plot fasziniert. War Galileo wirklich Illuminat? Ist ganz Rom mit heidnischen, antichristlichen Bauwerken übersät? Hab mich traurigerweise bei Google eines Besseren belehren lassen, aber da war das Buch schon aus und das Feuer in Auge noch heiß. Zum Ende des Buchs wurde dann aber auch klar, dass so was nur einmal gut geht und beim nächsten Buch alles nur noch halb so wild sein würde, bis hin zum angeödet-sein. Trotzdem, für dieses Mal und das Luftanhalten ne glatte 1. Plus Informationsgehalt: Wer wusste, dass im Petersdom 60.000 Menschen (!) Platz haben? Oder dass es bis ins 17.Jahrhundert ein europäisches Gesetz gab, dass Kirchen die höchsten Bauwerke jedes Ortes sein müssen? Und dass das Wort Satan aus dem islamischen "Shaitan" kommt, eben weil genau dass der Satan zu sein scheint? Sehr viel Religiöses in diesem Buch, das schönste natürlich, Wanderer-Ehrenwort, vom Reich der Tiere. Bezüglich der göttlichen Kommunikation wird festgestellt, dass See-Schildkröten und zwar solche, die als Zwillings-Eier voneinander getrennt und an weite entfernte Orte gebracht werden, zur gleichen Sekunde schlüpfen! Oder ist das nach Reiseberichten schon offensichtlich?

Siegfried Lenz – Kurzgeschichten

Furchtbar. Am besten finde ich es, Schriftsteller in die Hände zu kriegen, von denen man noch nix gelesen hat, und die eben in solchen Frei-Zeiten mal zu Buche und Potte kommen können. In der Schule fand ich bereits sämtliche Nachkriegsliteratur à la Borchert schrecklich. Man kann es diesen Menschen nicht verübeln, dass sie nur vom Krieg und von rauer, schaler deutscher Sozialverstörung sprechen, aber zum Lesegenuss ist´s so unverdaulich wie roher Blumenkohl. Mensch, beweg dich und erheb dich! Lenz, nix gut, 4 bis 5.

Name vergessen - Die Söhne der Wölfin

Noch so´n dickes dtv-Ding, das nur auf Reisen zur Geltung kommen kann, und noch so ne fröhliche Überraschung. Na, den Namen der Autorin (immerhin eine Frau!) hab ich nach sechs Wochen schon vergessen, die Geschichte aber vom Gründungsmythos Roms war klasse, und die Hauptdarstellerin hat mich mit ihrer Kälte und schmerzenden Härte eindringlich an jemanden erinnert. Und happy ist´s Ende auch nicht, von daher, 2.