Wirtschaft

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Handel und Wirtschaft

Wirtschaftlich sind die Niederlande sehr mit der BRD verflochten. »Wenn das Ruhrgebiet hustet, grassiert im Lande das Fieber«, heißt es. Das mag so nicht mehr stimmen, aber wichtigster Außenhandelspartner ist die BRD. Die auf Massenware spezialisierte Landwirtschaft trägt zwar 30% zur Ausfuhr bei, beschäftigt aber nur 5% der Bevölkerung. Die niederländischen Bauern zählten noch 1994 mit einem Nettojahreseinkommen von 70.000 DM zu den wohlhabendsten Europas. Gleichmäßig-makellos aussehende Erzeugnisse führen alle Käufer in die Irre, die auf das auf Optik ausgerichtete deutsche Handelssystem hereinfallen. Normtomatenfaktoreien liefern elf Ernten im Jahr. »Tomaten sind Energie, verpackt in einer roten Schale«, schimpft das NRC-Handelsblatt, da die Erzeuger nur einen lächerlichen Preis für Erdgas zur Beheizung ihrer Gewächsfabriken entrichten. So wenig zahle niemand in ganz Europa. Das führte zu einer »Amigoaffaire«, weil Landwirtschaftsminister Piet Bukman den Wirthschaftsminister um weitere Subventionierung des Erdgaspreises ersucht hatte, da sonst die treuen Wähler seiner Christdemokratischen Partei die radikale Rechte wählen würden (was sie dann auch taten).

Die Genarchitektur der »Tomoffel«, überirdisch Tomate, unterirdisch Kartoffel, harrt ihrer Vermarktung. Die Regelkuh trägt einen Appetitchip im Ohr und die hausfrauenfreundlich geklonte Kartoffel hat einen eingebauten Anti-Keim-Effekt. Der aufmerksame Verbraucher wundert sich, wie es möglich ist, dass radioaktiv bestrahlte Krabben unlängst nach Rheinland-Pfalz gelangten, wo doch die Bestrahlung von Lebensmitteln seit 1988 auch in Holland verboten ist. Dem Druck von Niederländern und Dänen verdanken wir die Tatsache, dass neuerdings sogenannte »Pißeber« eingeführt und als Kotelett usw. vermarktet werden dürfen. Bis 1993 durfte das wegen männlicher Hormone nach Urin stinkende Fleisch nur verwurstet werden. Die Niederlande mit ihrer hochtechnisierten Landwirtschaft experimentieren am Rande der Ethik.

Hermans Sperma oder: die grasende Laktoferrinfabrik

Prominentestes Beispiel war vor wenigen Jahren der »genetisch geknutselte« Stier Herman, der mit Hilfe von Genmanipulationen in der Lage war, Kälber zu erzeugen, deren Milch direkt als fertige Medizin genutzt werden konnte. Herman entstand in einer Versuchsanstalt in Lelystad in Flevoland aus einer befruchteten Eizelle. Sein Erbauer, Professor Herman de Boer, hatte ihm ein paar menschliche Gene hinzugefügt. Das Menschliche steckt im Samen: die von ihm befruchteten Kühe gebären Kälber, die dann später lactoferrinversetzte Milch geben, ein menschliches Eiweiß, das Menschen vor Entzündungen, vor allem im Darmtrakt, schützt. Für chemotherapierte Krebspatienten, die besonders anfällig gegen Infektionen sind, kann Herman lebensrettend sein.

Was erlaubt ist, wird auch getan. Das war schon immer so, wird aber vielleicht nicht immer so bleiben, denn die Landwirtschaft steckt in einer Absatz- und Ertragskrise, muß neue Wege finden und auf Qualität setzen. So wehren sich die Niederländer zunehmend gegen Experimente bezüglich Genmanipulationen aller Art. Frau Antje als urholländische Werbeträgerin ist tot – sie steht beim deutschen Verbraucher für synthetische Kunstprodukte. Trug ein Kilo Tomaten 1991 noch hlf. 1,91 ein, so sackte der Preis zwei Jahre danach auf hlf. 1,26 ab. Für jeden investierten Gulden erhielten die Gemüsebauern nur 76 Cent zurück und verloren damit durchschnittlich hlf. 126.000 ihres Vermögens.

Weitere Schattenseiten der Wirtschaft: das Land zählt 70.000 giftverseuchte Müllkippen und hundert Millionen Jahrestonnen Jauche (Gülle), deren ammoniakhaltige Ausdünstungen sich sogar aufs Wetter niederschlagen, weil sie z.B. den Regen sauer werden lassen. Bereits 1988 kam das Intitut für Volksgesundheit und Umweltschutz (RIVM) in einem Bericht »Sorgen für morgen« zu dem Ergebnis, Holland sei »das meistvergiftete und -verdreckte Land Westeuropas. Im 1989 veröffentlichten Bericht »Zustand der Natur 2« des Landwirtschaftsministeriums heißt es: »Es gibt für zahlreiche Pflanzen und Tierarten in den Niederlanden keine Zukunft, wenn nicht sofort drastische Maßnahmen ergriffen werden«. Im selben Jahr erklärten sich über 70 % der Niederländer zugunsten des Umweltschutzes auf einen steigenden Lebensstandard verzichten zu wollen.

Aber noch ist viel zu tun: nach wie vor stammen die meisten Pestizide im Rhein sowie ein Drittel der Schwermetalle und die Hälfte aller Phosphate aus Holland selbst. Im dichtbesiedelsten Land Europas machen auch den Landwirten stets härter werdende Umweltauflagen zu schaffen. Die Belastung der Böden mit Nitraten und Phosphaten u.a. aus Jauche erfordert aufwendige Investitionen in Mistverarbeitungsanlagen. Königin Beatrix genehmigte sich bereits heldenhaft und öffentlichkeitswirksam ein Gläschen aufbereitetes Wasser aus einer Versuchsanlage – und blieb am Leben. Einige Brabanter Schweinezüchter sind dazu übergegangen, ihren Mist illegal über die belgische Grenze zu verfrachten. Angesichts der Überproduktion plädieren selbst Standesgenossen für Beschränkungen des Viehbestandes. »Der Sektor wird immer abhängiger von der Ausfuhr«, sagt Rob Tazelaar, Vorsitzender des Verbandes »Vieh und Fleisch«. »Wenn da etwas schiefläuft, z.B. durch den Ausbruch von Krankheiten, kriegt man die Tiere nicht mehr los«. Aufmerksame Leser werden beispielsweise im März 1996 in Zusammenhang mit Maßnahmen gegen Rinderwahn einer kleinen Pressenotiz entnommen haben, dass die Niederlande sich gleich bereit erklärten, 60.000 britische Rinder und Kälber zu töten. Kein Mensch wußte, dass derartig viele britische Rinder in den Niederlanden standen. Ob die Tötung erfolgte und das Fleisch aus dem Verkehr gezogen wurde, ist unbekannt. Nach einer Umfrage des »Agrarisch Dagblad« glaubt nur etwas über die Hälfte der Gemüsebauern im Jahr 2000 noch einen eigenen Betrieb zu führen. Auswanderungsgelüste sind stark, und so findet man die Holländer mit neuen Betrieben im Osten Deutschlands, in Frankreich, Spanien und Portugal. Branchenkenner rechnen damit, dass 30.000 bis 110.000 Landwirte sich im nächsten Jahrzehnt nach einem neuen Job umschauen müssen.
Unterdessen besteht eine flotte Gülle-/Jaucheausfuhr nach Deutschland: Allein im Jahr 2010 wurden offiziell 750.000 Tonnen Gülle nach NRW transportiert, verschleierte, unangemeldete Transporte nicht mitgerechnet. Im Jahr zuvor rollten mehr als 60 000 Lkw mit Gülle, Hähnchenmist oder Hühnertrockenkot über die Grenze! Auf diesem Weg kamen mehr als 25 Mio. kg Stickstoff und 20 Mio. kg Phosphor in die Bundesrepublik. Eine enorme Gefährdung unseres Trinkwassers mit Nitrat und Chemikalien aus der Veteriärmedizin. Versuche deutscher Stellen, die Einfuhr zu untersagen, scheitern am Widerstand der EU, welche die Jauch als „Ware“ betrachtet, für die es keine Handelsschranken geben dürfe. Damit sei jetzt der Bund gefragt, aber der tut nichts. 

Wasserbombe zwischen den Ohren

»Die Hollandtomate gibt´s nicht mehr!« verheißt ein Werbespruch, Teil des Werbefeldzugs »Ackern für Deutschland«, für den die niederländischen Tomatenzüchter 5 Millionen DM springen ließen. Damit sollen die Deutschen, die im Mittel 16 kg Tomaten pro Kopf und Jahr vertilgen, wieder Appetit kriegen. Nur 5 % stammen aus heimischem Anbau, der weitaus größte Teil mit 249 Millionen Kilo aus den Niederlanden. In den letzten Jahren brach jedoch der Absatz weg. »Unsere Kunden finden unsere Produkte zu schön«, stellt das CBT fest. Die Ausfuhr der als Wasserbomben disqualifizierten Früchte (die Tomate ist als Beere übrigens Obst, während der Rharbarber ein Stengel, also ein Gemüse ist), sank von 70 auf 40 % bzw. von 290 auf 240 Mill. Kilogramm jährlich und bewirkte zahlreiche Pleiten. Ähnliches gilt für Möhren, deren Absatz um ein Viertel sank. Damit die Verbraucher wieder Vertrauen fassen, tragen die auf Steinwolle gedeihenden holländischen »Zombies«, wie sie Die Zeit nannte, nunmehr so wohlklingende Namen wie Rote Perle, Gartenfrisch, Class – Erste Qualität, Quality – Das Beste vom Gärtner, Strauchtomate (nun überall zu finden) oder Red Vine. Die letzte Sorte hieß ursprünglich »Rot und Fest«, doch mußte der Name hastig geändert werden, weil »rood« im Niederländischen auch »faul« bedeutet. Bis auf weiteres allerdings werden zwei Drittel herkömmliche Tomaten bleiben. Was macht mancher findige Händler? Er stecke die schönen C-Tomaten in eine deutsche Kiste mit der Aufschrift »Deutsche Weinbergtomaten« oder zumindest in neutrale Schachteln, verkündet das Fachblatt »19 NU«. Ad Kroon, Vorsitzender des niederländischen Zentralbüros für Gartenbau (CBT), glaubt, das Absatztal bereits durchschritten zu haben. Aber noch bleibt viel zu tun, um von dem Ruf, in Holland reife Obst- und Gemüse unter zuviel Chemieeinsatz industriell heran, loszuwerden. In der Tat eine schwere Gefahr, denn die Niederlande sind nach den USA der größte Exporteur landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Eric Truffino, CBT-Sprecher, macht Presseberichte über »bestrahlte Chemietomaten« für das Exportdesaster verantwortlich. Doch vor allem verweist er auf Versäumnisse bei Züchtern und Händlern. Zu lange habe habe man auf Menge, nicht auf breitere Auswahl und Qualität gesetzt. Scharf faßte es die Wirtschaftszeitung »NBC Handelsblad«: »Fast der gesamte niederländische Agrarsektor ist mit derselben Soße übergossen. Ob Schweine, Kartoffeln, Tomaten, überall zählt Masse. Verbraucher, die Delikatessen suchen, müssen sich an eine andere Adresse wenden.« Größes Problem des CBT ist jedoch, dass der Zusatz »aus Holland« in Deutschland kein Qualitätsbegriff mehr ist – im Gegenteil: nach CBT-Tests schmeckt dem deutschen Verbraucher eine Tomate gleich viel schlechter, wenn er weiß, dass sie aus den Treibhausstädten hinter dem Deich stammen, so dass die Strategen vom CBT sich bemühen, ihre Waren möglichst unauffällig in neutralen Schachteln zu verpacken. Schädlich hätten sich nach Kroon auch das miese Amsterdam-Image und die antideutsche Haltung ausgewirkt. Hübsche Mädels sollen als Botschafterinnen der Tomate bei dem Werbefeldzug Einsatz finden, denn, nach Kroon: »Rational läßt sich das Problem nicht lösen. Es ist emotional und sitzt zwischen den Ohren«.

Dreiviertel des Bruttosozialproduktes erwirtschaften Industrie und Handel. Öl- (Royal Dutch Shell), Metall- und Nahrungsmittelindustrie sowie Elektrotechnik (u.a. Philips; Tochter bei uns Grundig) sind die wichtigsten Branchen. Shell ist übrigens auch der weltgrößte Saatguterzeuger. Akzo, groß im Kunstfaser- und Chemiegeschäft tätig sowie bei Arzneimitteln, Farben, Lacken u.ä., ist durch die Salzvorkommen bei Twente auch einer der wichtigsten Salzproduzenten. Unilever, 1930 entstanden aus der ehemaligen Margarine Unie und der englischen Firma der Lever Brothers (sprich: liewer) stellt Fette, Lebensmittel, Waschmittel usw. her (Del Monte, Iglo, Landnese, Omo, Sunil, Signal, All u.a.). Unilever verzichtete übrigens 1996 auf die Verwendung von Fischöl für die Herstellung von Keksen, das meist aus der verrufenen Gammelfischerei stammt. Handel und Verkehr erbringen über die Hälfte der Wirtschaftsleistung. Kein Wunder, dass ein derartig mit dem internationalen Handel verknüpftes Land sich stets für den freien Warenverkehr eingesetzt hat und zu den Gründungsmitgliedern der EWG zählt. Traditionell erwirtschaftet das Land einen Überschuß bei der Leistungsbilanz im Handel mit der BRD. Die holländische Flotte ist übrigens die siebtgrößte der Welt.

Die Fälle Graf und Schreinemakers lenkten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auch auf die Niederlande als Sitz zahlreicher Finanzierungs- und Holdingsgesellschaften, gegründet zu dem Zweck, den Kunden eine Besteuerung im Heimatland zu ersparen. Allein die niederländischen Antillen können jährlich mit 200 Millionen Gewinn aus diesen Aktivitäten ein Sechstel ihres Haushaltes bestreiten. Doch auch für das Mutterland ist das Durchschleusen ausländischer Gelder ein lukratives Geschäft. Nach Angaben der Nederlandse Bank (DNB) flossen zwischen 1983 und 1990 alljährlich Geldströme von 68 Milliarden Gulden durch das Königreich. Bei 17 Milliarden handelte es sich um Einkommenstransaktionen; der Rest war Kapital, das innerhalb internationaler Konzernverbände durch die Niederlande verschoben wurde. Etwa 750 Millionen Gulden bleiben durch diese Machenschaften im Königreich hängen, zwei Drittel gehen an den Staat, ein Drittel an vorerwähnte Gesellschaften.